Inhaltsverzeichnis
Sowohl in der WAZ als auch im Stern wurde kürzlich je ein Artikel über die Gefahr von veganer Ernährung während der Schwangerschaft publiziert. Darin hat sich der Kinderarzt Prof. Eber einer rein pflanzlichen Kost nicht nur kritisch gegenüber geäußert, sondern regelrecht vor dieser Ernährungsform gewarnt. Besonders wenn es um die Nährstoffversorgung in sensiblen Lebensphasen, wie Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugend, geht, nimmt die Unsicherheit bei vielen Menschen zu. Genau aus diesem Grund ist es uns ein Anliegen, einige Aussagen in diesen Artikeln zu beleuchten und darauf Stellung zu beziehen.
Vegane Schwangerschaft: Hirnschäden beim Ungeborenen?
Einleitend betont der Kinderarzt in der WAZ ganz korrekt die Bedeutung des essenziellen Nährstoffs Vitamin B12, indem er sagt: „Ein Kind braucht vom ersten Moment an eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12, sonst drohen mentale und motorische Störungen, im schlimmsten Fall eine lebenslange Behinderung. “ Wie auch bei anderen Vitaminen und Mineralstoffen ist bei einem ausgeprägten Vitamin B12-Mangel mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen.
Der Arzt sagt außerdem, dass Vitamin B12 „fast nur in Fleisch- und Milchprodukten (…)“ vorkommt. An der Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass die ursprüngliche Quelle Mikroorganismen (Bakterien) sind, welche Vitamin B12 synthetisieren. Das Vitamin ist nach heutigem Herstellungsverfahren vor allem in tierischen Produkten enthalten, weil die Futtermittel unter anderem damit angereichert werden (Albers et al., 2001). Außerdem ist es erwähnenswert, dass die Vitamin B12-Aufnahme über die Nahrung nicht mit einem ausreichenden Versorgungsstatus gleichzusetzen ist. Das liegt an dem komplexen Aufnahmemechanismus im Magen-Darm-Trakt, bei dem ein bestimmtes Protein aus der Magenschleimhaut erforderlich ist. Vor allem bei älteren Personen oder durch die Einnahme von Medikamenten (z. B. Protonenpumpenhemmer) kann die Synthese dieses Proteins behindert werden und eine ausreichende Versorgung auch in der Mischkost potenziell kritisch werden.
Hinsichtlich der Vitamin B12-Zufuhr heißt es in dem WAZ-Artikel weiter: „So hätten streng vegan lebende Frauen eine tägliche Vitamin-B12-Aufnahme von 0,4 Mikrogramm, „für ein gesundes Baby sind aber 4,5 Mikrogramm notwendig, also das Zehnfache.“ In der groß angelegten britischen EPIC-Oxford Study wurde in der veganen Kohorte eine durchschnittliche Zufuhr von 0,41 μg Vitamin B12 erhoben. In diesen Wert fließt lediglich die Aufnahme über Nahrung mit ein, allerdings nicht die Zufuhr aus Supplementen. Da pflanzliche Lebensmittel kaum bzw. nicht bioverfügbares Vitamin B12 liefern, erklärt sich auch die niedrige Zufuhrmenge. Ein Nahrungsergänzungsmittel ist bei einer veganen Ernährung unbedingt erforderlich und stellt sozusagen die „Hauptquelle“ dar, was in der Zahl nicht ersichtlich ist. Außerdem ergänzen die Autoren der Studie, dass der Wert möglicherweise steigt, weil es mittlerweile mehr angereicherte Produkte gibt (Davey et al., 2003). Die Studie wurde im Jahr 2003 veröffentlicht, seither hat die Aufklärung über vegane Ernährung auch schon stark zugenommen.
Des Weiteren berichtet der Kinderarzt von dem Fall (2004) eines „fünf Monate alten Kindes, das an Vitamin-B12-Mangel litt und bis heute schwer behindert ist. Die Ursache des Mangels war in diesem Fall eine sehr seltene Erkrankung der Mutter, aber zur gleichen Zeit gab es weitere Publikationen, die einen B12-Mangel aufgrund von veganer Ernährung aufgegriffen haben.“ Auch wenn Vitamin B12 der kritischste Nährstoff bei veganer Ernährung ist, betrifft ein manifester Mangel nicht ausschließlich Veganer. Experten betonen immer wieder die Wichtigkeit eines Vitamin B12-Präparates bei veganer Ernährung, das wiederum treibt die Aufklärung voran. Prof. Eber spricht außerdem über seine eigene Praxiserfahrung, in der er 151 Kinder mit einem Vitamin B12-Mangel diagnostiziert hätte, wovon 20 von einem stark ausgeprägten Mangel betroffen wären. Er geht dabei nicht auf die Ernährungsform ein, vermutlich handelt es sich bei dieser Zahl vornehmlich um mischköstlich ernährte Kinder.
Der Stern-Artikel geht ebenso auf einen Bluttest sowie weitere potenziell kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung ein: „Der Experte rät vegan lebenden Frauen mit Kinderwunsch, frühzeitig ihren Arzt anzusprechen und einen Bluttest auf Vitamin B12 durchführen zu lassen. Genauso auf einen Mangel an Vitamin D, Jod, Eisen, Docosahexaensäure, Folsäure und Zink.“ Die kritischen Nährstoffe sollten vor allem in sensiblen Lebensphasen, wie der Schwangerschaft, besondere Beachtung erhalten. Allerdings wird die vegane Ernährung in beiden Artikeln sehr einseitig dargestellt und mit zwangsläufig auftretenden Mangelzuständen umschrieben. Mögliche Nährstoffdefizite einer Mischkost werden dagegen nicht erwähnt.
- Eine jährliche Blutuntersuchung mit den potenziell kritischen Nährstoffen, allen voran Vitamin B12, ist empfehlenswert. Auch Mischköstler profitieren von diesem klassischen Gesundheits-Check up. Bei Vitamin B12 ist die Nährstoffkonzentration im Blut jedoch nicht aussagekräftig genug, um einen tatsächlichen Mangel diagnostizieren zu können. Vielmehr sollte der Parameter Holo-TC (Holo-Transcobalamin) ausgetestet werden.
- Das Risiko einer mangelhaften Versorgung mit Vitamin D betrifft die gesamte deutsche Bevölkerung, unabhängig von der Ernährungsform. Das liegt an der geographischen Lage: Unsere wichtigste Vitamin D-Quelle ist die UVB-Sonnenstrahlung. Zwischen Oktober und März ist die notwendige Wellenlänge in der nördlichen Hemisphäre allerdings nicht ausreichend gegeben, um die Eigensynthese in der Haut zu stimulieren. Deshalb profitiert jeder von einem Blutbild (Parameter: 25-OH Vitamin D3) in der kalten Jahreszeit und sollte dann unter Umständen auf ein Supplement zurückgreifen.
- Das Vitamin Folsäure (Folat) ist besonders in der Schwangerschaft von großer Bedeutung. Allerdings betrifft eine unzureichende Versorgung vielmehr Mischköstler, da eine vollwertig pflanzliche Ernährung sehr reich an Folat ist. Auch Studien bestätigen, dass Veganer deutlich mehr Folat aufnehmen als Mischköstler (Davey et al., 2003; Waldmann et al., 2003).
- Die Nährstoffe Eisen, Jod, Zink und Omega-3-Fettsäuren (Docosahexaensäure/DHA) lassen sich über eine gut geplante pflanzliche Ernährung auch zuführen. Der jährliche Bluttest gibt dir Auskunft, ob ein Supplement möglicherweise notwendig ist oder nicht. Beispielsweise unterstützen jodiertes Speisesalz (in Maßen) und Meeresalgen mit moderatem Jodgehalt (z. B. Nori) die Jodversorgung. Bei Eisen und Zink scheitert es weniger an der Zufuhr, sondern vielmehr an der geringeren Bioverfügbarkeit aus pflanzlichen Quellen. Durch Zubereitungsmethoden, wie Einweichen, Keimen und Garen, kann man dem jedoch entgegenwirken. Auch frisches Obst, Gemüse oder Kräuter zur Mahlzeit verbessern durch den Vitamin C-Gehalt die Eisenresorption. Um vor allem in Schwangerschaft und Stillzeit ausreichend Omega-3-Fettsäuren aufzunehmen, ist der Gebrauch von einem DHA-angereichertem Pflanzenöl empfehlenswert. Das enthält nämlich die ursprüngliche DHA-Quelle in Form von Mikroalgen, denn selbst Fische können die langkettige Fettsäure nicht eigenständig herstellen. Diese Öle sind mittlerweile in den meisten Bio-Läden erhältlich.
In Sachen potenziell kritische Nährstoffe gibt dir die vegane Ernährungspyramide Auskunft und Hilfestellung. Daneben bekommst du durchschnittliche Zufuhrempfehlungen an die Hand und hast dadurch eine nährstoffadäquate, ausgewogene Ernährung direkt im Blick.
In dem Artikel heißt es weiter: „Der Kinderarzt empfiehlt, sich möglichst ab dem Beginn der Familienplanung nicht vegan zu ernähren, sondern zumindest Eier, Milchprodukte und regelmäßigen Fisch zu verzehren. Und nicht nur für die Mutter, sondern auch das Kind selbst sollte nach dem Abstillen Milchprodukte, Eier, Fleisch und Fisch bekommen, um sich gesund zu entwickeln.“ Dieser Aussage nach sind sozusagen alle tierischen Produkte zwingend notwendig, um etwaige Mängel zu umgehen. Sie schließt dadurch die Möglichkeit aus, dass auch pflanzliche Lebensmittel mit den erwähnten Besonderheiten für ausreichend Nährstoffe sorgen können. Außerdem vernachlässigt sie überzeugt die Vorzüge vollwertiger pflanzlicher Lebensmitteln, z. B. sind diese reich an dem wichtigen „Schwangerschafts-Vitamin“ Folat, an Magnesium, Kalium, ß-Carotin und Vitamin C, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wissenswert: Nur pflanzliche Nahrungsmittel entahlten die wertvollen Ballaststoffe, welche gerade in der Schwangerschaft einer Obstipation vorbeugen können, sowie die gesundheitsfördernden sekundären Pflanzenstoffe.
Mischkost vs. vegane Ernährung
Fest steht: Jede Ernährungsform bietet Vor- und Nachteile, in Summe kommt es auf die Zusammenstellung an. Das Gesamtbild hat dabei mehr Aussagekraft als der Fokus auf einen bestimmten Nährstoff, der mit dem notwendigen Wissen problemlos ergänzt werden kann.
- Die Mischkost ist reicher an den eher unerwünschten gesättigten Fettsäuren, Cholesterin, Purinen bzw. ärmer an Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Dafür liefert sie auch das essenzielle Vitamin B12.
- Eine vollwertige pflanzliche Ernährung ist dagegen arm an gesättigten und reicher an ungesättigten Fettsäuren, sie enthält kein Cholesterin, keine Arachidonsäure bzw. ist sie reich an Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Vitamin B12 muss dafür ergänzend in Form von Supplementen zugeführt werden.
Die DGE empfiehlt allen Frauen mit Kinderwunsch schon vor einer Schwangerschaft täglich 400 µg Folsäure zu supplementieren, da der Nährstoff unter Mischköstlern potenziell kritisch ist (DGE, 2011). Optimale Quellen sind grünes Blattgemüse, Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide, sozusagen das „täglich Brot“ einer pflanzlichen Vollwertkost. Das Blutbild gibt auch hier Auskunft über den individuellen Versorgungsstatus; darin schneiden Veganer durchschnittlich deutlich besser ab. Einer Studie nach hat die vegane Personengruppe einen um 57 % höheren Folatspiegel im Blut als die untersuchten Mischköstler und sind daher mit dem Nährstoff bestens versorgt (Majchrzak et al., 2006).
Ja, Vitamin B12 ist der kritischste Nährstoff bei veganer Ernährung. Diesen sollte man langfristig in Form eines Supplements zuführen, um eine ausreichende Versorgung zu bewerkstelligen. Den ersten Ergebnissen der aktuellen VeChi-Studie nach, welche die vegane (Klein-)Kinderernährung in Deutschland unter die Lupe nimmt, erhalten 94 % aller Kinder bei veganer Ernährung regelmäßig ein Vitamin B12-Supplement (Heger, 2018). Das wiederum unterstreicht die Tatsache, dass das Wissen um diesen essenziellen Nährstoff in veganen Familien bereits weit verbreitet ist.
Ein kurzer Ausflug in die Wissenschaft klärt außerdem darüber auf, dass eine vollwertige vegane Ernährung die menschliche Gesundheit optimieren und Krankheiten vorbeugen, teilweise sogar therapieren kann. In dem Positionspapier (2016) der weltweit größten Ernährungsgesellschaft A.N.D. (Academy of Nutrition and Dietetics) heißt es, dass eine ausgewogene vegane Ernährung für die Prävention und Therapie von ernährungsbedingten Erkrankungen geeignet ist und eine gesunde Alternative zur Mischkost darstellt. Studien zufolge haben Veganer durchschnittlich ein gesundes Körpergewicht bzw. einen niedrigeren Body-Mass-Index als Mischköstler, einen niedrigeren Blutdruck und Cholesterinspiegel (Spencer et al., 2003; Le und Sabaté, 2014). Die in unserer Gesellschaft vorherrschende Epidemie an ernährungsbeeinflussbaren Erkrankungen, wie Adipositas, Diabestes mellitus Typ 2, Herzerkrankungen und Krebserkrankungen, könnte durch eine pflanzliche Ernährung gemäßigt werden (Appleby und Key, 2016).
Selbst bei den Empfehlungen einer Mischkost wird für einen geringeren Konsum an tierischen Produkten und für mehr Gemüse, Obst und vollwertiges Getreide plädiert. Pflanzliche Lebensmittel sind ohnehin die Basis der Ernährungspyramide bzw. des Ernährungskreises der DGE.
Ist eine vegane Ernährung für Schwangere, Stillende und Kinder möglich?
Wenn man sich die Äußerungen der nationalen und internationalen Fachgesellschaften zu dieser Frage ansieht, stößt man auf teils kontroverse Aussagen, die einer Erklärung bedürfen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung sprechen sich nicht für die vegane Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugend aus (DGE, 2016; SGE, 2016). Der wesentliche Kritikpunkt liegt bei den potenziell kritischen Nährstoffen und somit dem Risiko einer Unterversorgung an bestimmten Vitaminen bzw. Mineralstoffen. Mit einem Blick aus Europa heraus stößt man allerdings auf Befürwortung. Sowohl die US-amerikanische (American Dietetic Association), die kanadische (Canadian Paediatric Society), die australische (Dietitians Association of Australia) als auch die britische (British Dietetic Association) Fachgesellschaft für Ernährung kommen zu dem Fazit, dass eine „gut geplante“ vegane Ernährung für jede Lebensphase, auch Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugend, möglich ist. Auch sie sprechen alle über die Notwendigkeit der Vitamin B12-Supplementierung und dem Wissen über die potenziell kritischen Nährstoffe. Allerdings betonen sie ebenso die Vorteile pflanzlicher Lebensmittel und sind der Ansicht, dass tierische Produkte nicht zwingend von Schwangeren und Heranwachsenden konsumiert werden müssen.
Ganz klar: „Vegan“ bedeutet nicht gleichzeitig gesund, ebenso ist auch eine Mischkost per se nicht gesundheitsfördernd. Welche Ernährung auch immer umgesetzt wird, ausgewogen und vollwertig ist sie definitiv reicher an Nährstoffen als bei einer einseitigen Gestaltung und dem reichlichen Konsum von verarbeiteten Produkten. Deshalb ist es für jede Schwangere und Mutter empfehlenswert, sich mit der eigenen Ernährung auseinanderzusetzen, um Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern bzw. auch um Krankheiten bei sich selbst und in der nächsten Generation vorzubeugen.
Die wesentliche Kritik von Prof. Eber in den genannten Artikeln richtet sich an einen Vitamin B12-Mangel bei veganen Müttern und Kindern. Wie man aus den gleichen Artikeln auch herauslesen kann, ist ein Defizit ebenso bei Mischköstler möglich. Diese mittlerweile bekannte „Schwachstelle“ der veganen Ernährung sollte jedoch nicht Anlass geben, die reichlichen Vorzüge, inklusive ethischer und ökologischer Natur, zu mindern.
In der veganen Schwangerschaft und Stillzeit können speziell darauf ausgerichtete Nahrungsergänzungsmittel die Deckung des (erhöhten) Nährstoffbedarfs erleichtern. Diese sollten in Abhängigkeit von der Gestaltung der Ernährung und unter Betrachtung der Gesundheitsparameter ausgewählt werden.
Du möchtest tiefer in die Materie der Veganen Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugend einsteigen? Du willst dich sattelfest für eine erfolgreiche Umsetzung machen? Dann ist unsere Fachfortbildung „Vegane Ernährung für Mutter und Kind“ sicher interessant für dich.
Bezugnahme auf folgende Artikel:
Hirnschäden: Arzt warnt Schwangere vor veganer Ernährung – WAZ
Schreibe einen Kommentar