Diabetes mellitus Typ 2: Ernährung und Lebensstil. Welchen Einfluss haben wir auf die Erkrankung?
6 % der gesamten Weltbevölkerung sind betroffen, wobei die Dunkelziffer in dieser Statistik noch nicht mit einberechnet ist (Cho et al., 2018). In Deutschland sind es mehr als 6 Millionen diagnostizierte Fälle und die Zahl hat seit Beginn des Jahrtausends um erschreckende 40 % zugenommen (DDG, 2016). Die im Volksmund auch als Zuckerkrankheit bekannte Stoffwechselstörung ist in vielen Fällen ein Resultat aus einem ungünstigen Ernährungsverhalten und Lebensstil. Diabetes Typ 2 ist die häufigste Form der Erkrankung und entsteht meist als Folge von Übergewicht beziehungsweise Adipositas. Unser heutiges Thema lautet Diabetes mellitus Typ 2: Ernährungsbedingte Erkrankung? Wie genau kommt es zu der Stoffwechselstörung, was können Betroffene tun und wie lautet die ultimative Präventivlösung?
Wusstest du schon …
…dass die Zuckerkrankheit in der Antike über den honigsüßen Geschmack des Urins diagnostiziert wurde (Schmiedel, 2015)?
Diabetes mellitus: Das Erkrankungsbild
Beim Diabetes mellitus wird zwischen diversen Formen unterschieden, die auf unterschiedliche Ursachen zurückgehen. Das gemeinsame Krankheitsbild ist ein erhöhter Blutzuckerspiegel und somit eine Störung des Kohlenhydratstoffwechsels. Um genauer zu verstehen, welche metabolischen Funktionen nicht mehr intakt sind, machen wir einen kleinen Exkurs in die Physiologie des Zuckerstoffwechsels.

Wenn wir eine Mahlzeit zu uns nehmen, die Kohlenhydrate enzymatisch verdaut werden und in die Blutbahn gelangen, dann kommt Insulin ins Spiel. Das Hormon aus der Bauchspeicheldrüse sorgt dafür, dass die Glukose aus unserem Blut in die Zellen eingeschleust wird, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren beziehungsweise in den gesunden Normbereich zu bringen. Dabei dockt Insulin an die Zellrezeptoren an, die Zellen öffnen sich, so dass die Glukose einströmen kann (Horn, 2012). So viel zum gesunden Organismus, was aber passiert nun im Körper eines Diabetes-Patienten?
Beim Diabetes mellitus Typ 2 wird noch ausreichend, anfangs sogar übermäßig viel Insulin produziert, aber die Wirkung am Rezeptor lässt nach oder geht komplett verloren. Der Typ 1-Patient dagegen leidet an einer Autoimmunerkrankung, bei der die Zellen der Bauchspeicheldrüse angegriffen und zerstört werden. In Folge dessen kann er nicht ausreichend oder gar kein Insulin mehr produzieren. In beiden Fällen ist die essenzielle Wirkung des Hormons nicht mehr gegeben und somit verbleibt die Glukose in der Blutlaufbahn (Leitzmann et Keller, 2013).
Unterschiedliche Diabetes-Typen
Mit knapp 95 % der Betroffenen ist die häufigste Form aller Erkrankungsfälle der Diabetes mellitus Typ 2. Ernährung und Lebensstil stehen dabei im Vordergrund, denn die Krankheit geht in der Regel mit Übergewicht und dem metabolischen Syndrom einher. Oftmals entsteht der Typ 2 Diabetes erst im späteren Lebensverlauf, heutzutage sind aber auch schon immer mehr Jugendliche davon betroffen (Müller-Wieland et Kröger, 2018).
Dementgegen steht der Diabetes mellitus Typ 1; eine Autoimmunerkrankung, die in den meisten Fällen schon im Kinder- oder Jugendalter entsteht. Die Patienten bekommen direkt eine Diabetikerschulung an die Hand und sind in der Regel lebenslänglich auf die tägliche Insulingabe angewiesen.
Selten, aber dennoch erwähnenswert, ist die Kategorie Typ 3 Diabetes. Dazu gehören spezifische Fälle von chronischer Hyperglykämie, bei denen der gestörte Zuckerstoffwechsel einer Vorerkrankung zugrunde liegt. Zu guter Letzt vervollständigt der Schwangerschafts- oder Gestationsdiabetes die unterschiedlichen Kategorien, bei dem die Wirkung von Insulin erstmalig während der Schwangerschaft nachlässt. Man spricht gelegentlich auch vom sogenannten Typ 4-Diabetes (Kerner et Brückel, 2014).
Diagnosekriterien
Wollen wir uns als Nächstes ansehen, wie man überhaupt zu der Diagnose Diabetes mellitus kommt. Das entscheidende Kriterium der Zuckerkrankheit ist ein erhöhter Glukosespiegel im Blut; zur Beurteilung stehen dem Mediziner sowohl kurzzeitige als auch langzeitige Parameter zur Verfügung.
Der Nüchternblutzucker gibt einen ersten Hinweis auf die Verfügbarkeit und Wirkung von Insulin, wobei dieser nach einer nächtlichen Fastenperiode von mindestens acht Stunden gemessen wird. Der Nicht-Nüchtern-Zuckerspiegel spricht für den Glukosewert nach beziehungsweise zwischen den Mahlzeiten. Außerdem ist ein Belastungstest, der sogenannte orale Glukosetoleranztest (oGTT), eine in der Wissenschaft gebräuchliche Methode zur Beurteilung der Insulinaktivität. Dabei wird dem Patienten eine glukosehaltige Trinklösung verabreicht und der Blutzuckerverlauf über eine Periode von zwei Stunden gemessen.
Als Standard zur Beurteilung des Langzeitblutglukosespiegels hat sich der HbA1c-Wert etabliert. Dabei handelt es sich um jenen Hämoglobinanteil, sprich unseren roten Blutfarbstoff, an den Glukose gebunden ist. Unsere roten Blutkörperchen haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 120 Tagen, weshalb wir aus diesem Wert den Glukoseverlauf aus den vergangenen Wochen bis Monaten herauslesen können.
In Tabelle 1 findest du die jeweiligen Blutwerte, die einen Diabetes mellitus diagnostizieren.
Tabelle 1: Diagnosekriterien für Diabetes mellitus (Kerner et Brückel, 2014)
Parameter | Diagnosewert |
---|---|
Blutzucker (nüchtern) | ≥ 126 mg/dl (≥ 7,0 mmol/l) |
Blutzucker (nicht nüchtern / Gelegenheitsblutzucker) | ≥ 200 mg/dl (≥ 11,1 mmol/l) |
Belastungstest (oGTT) – nach 2h | ≥ 200 mg/dl (≥ 11,1 mmol/l) |
HbA1c | ≥ 6,5 % |
Folgeerkrankungen und Spätschäden
Die Akkumulation der Glukose im Blut bringt, wie erwartet, nachhaltige Folgen und gesundheitliche Schäden mit sich. Schauen wir uns an, was dabei genau im Körper abläuft.
Verweilt der Zucker auf Dauer in unserer Blutlaufbahn, so kommt es zu unerwünschten biochemischen Reaktionen mit anderen Molekülen, wie beispielsweise Proteinen, Lipiden oder Nukleinsäuren. Daraus entstehen sogenannte AGE’s (advanced glycation endproducts), die wiederum atherosklerotische Mechanismen fördern und letztlich Gefäßerkrankungen begünstigen (Goh et Cooper, 2008).
Sowohl große Gefäße, wie Arterien, als auch kleinere, periphere Gefäße können betroffen sein. Das klassische Beispiel für eine makrovaskuläre Erkrankung ist die Atherosklerose, die Entstehung von Plaques an Arterienwänden, welche zur Gefäßverengung und in weiterer Folge zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können. Mikrovaskulär sind hauptsächlich die Netzhaut des Auges (Retinopathie), die Nierengefäße (Nephropathie) und das periphere Nervensystem (Neuropathie) betroffen. Diabetes ist übrigens deutschlandweit der häufigste Grund dafür, dass Menschen zur regelmäßigen Dialyse müssen (Müller-Wieland et Kröger, 2018).
Ursachen: Diabetes mellitus Typ 2
Die weitaus häufigste Form ist der bereits erwähnte Diabetes mellitus Typ 2. Ernährung sowie ein ungünstiger Lebensstil sind die vorrangigen Ursachen. Wenn wir uns das Problem im Detail ansehen, sind es vor allem Bewegungsmangel, ein reichlicher Verzehr von meist unerwünschten Fetten, leicht löslichen Kohlenhydraten (Zucker, Weißmehlprodukte) und ein Mangel an Ballaststoffen, die mit dem Typ 2 Diabetes in Verbindung gebracht werden. Dieses Verhaltensmuster ist übrigens mit der Entstehung von Übergewicht und Adipositas vergleichbar. Eine genetische Komponente ist außerdem erwähnenswert, welche gar nicht so unbedeutend ist: 20-40 % der Geschwister und 25-50 % der Kinder eines Typ 2-Diabetikers erkranken an der Zuckerstoffwechselstörung (Sauter).
Ein hoher Fettanteil im Bauchraum (abdominelle Fettverteilung) spielt beim Diabetes eine entscheidende Rolle. Untersuchungen weisen darauf hin, dass das Nachlassen der Insulinwirkung durch Lipidablagerungen in ektopischem Gewebe, das heißt, in Nicht-Fettgewebe entsteht. Das kann die Skelettmuskulatur, die Leber beziehungsweise auch der Pankreas sein. Gerade in der Bauchspeicheldrüse kann diese Fettansammlung langfristig auch die Sekretion von Insulin unterdrücken (Boada et Martínez-Moreno, 2013; Sattar et Gill, 2014).
Diabetes mellitus Typ 2: Ernährung und Wissenschaft
Dass Diabetes mellitus Typ 2 ernährungs- und lebensstilabhängig ist, haben wir nun erörtert. Welche Komponenten spielen aber konkret eine Rolle? Was hat uns die Wissenschaft dazu zu sagen?
Zum einen kann ganz allgemein gehalten eine Korrelation zwischen dem Fettgehalt in der Ernährung und dem Auftreten von Diabetes festgehalten werden (Risérus et al., 2009). Zum anderen wurden in einer aktuellen Metaanalyse 88 Studien quantitativ untersucht und einzelne Risiko- beziehungsweise Präventionsfaktoren in Bezug auf die Nahrung analysiert. In Tabelle 2 findest du einzelne Lebensmittel(gruppen) mit durchschnittlichen Mengen, die das Diabetesrisiko entweder begünstigen oder reduzieren. Eine optimale Kombination an den risikosenkenden Faktoren kann zu einer 42 %-igen Risikoreduktion führen (Schwingshackl et al., 2017).
Tabelle 2: Ergebnisse einer Metaanalyse von Schwingshackl et al. (2017)
Reduktion des Diabetesrisikos | Erhöhung des Diabetesrisikos |
---|---|
täglicher Konsum an Vollkorngetreide (bis zu 50 g) senkt das Risiko um ein Viertel |
täglicher Konsum an raffinierten Getreideprodukten, wie Weißmehl, Kuchen, etc. (200-400 g) erhöht das Risiko um 6-14 % |
täglicher Obst (200 – 300 g) und Gemüsekonsum (300 g) |
rotes und verarbeitetes Fleisch, Eier und zuckergesüßte Getränke |
Vollkorngetreide, Obst und Gemüse sprechen auf den ersten Blick bereits eindeutig für eine pflanzenbasierte Vollwertkost. Aber kann der Diabetes mellitus Typ 2 ernährungstechnisch durch eine vegane Kost therapiert werden? Antwort darauf liefern uns Ergebnisse einer Interventionsstudie von Barnard et al. (2006). Darin wurden Typ 2 Diabetiker in zwei Gruppen randomisiert, wobei sich ein Teil der Probanden rein pflanzlich und fettarm ernährte, die Kontrollgruppe führte dagegen eine Diät nach den klassischen Richtlinien der American Diabetes Association (ADA) durch. Nach 22 Wochen Intervention ließen sich die Symptome des Diabetes sowie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Untersuchungsgruppe mit der veganen Ernährung signifikant und effektiver reduzieren als in der ADA-Diätgruppe. Insgesamt konnten 41 % der veganen Probanden und 26 % ADA-Probanden ihr Diabetes-Medikamente reduzieren.
Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2
Da Übergewicht der wesentliche Risikofaktor für Typ 2 Diabetes ist, wird in erster Linie über Ernährung und Lebensstil an diesem Punkt angesetzt. Im konkreten bedeutet das in Sachen Ernährung eine Reduktion des Fettanteils auf weniger als 30 % der täglichen Energiezufuhr (DGE, 2015). Wenn wir diesen Wert auf eine durchschnittliche Kilokalorienaufnahme von 2000 kcal übertragen, sind das maximal 67 g Fett/Tag. Die Menge an gesättigten Fettsäuren (tierische Produkte, Kokosfett, Palmfett) sollte dabei eine stark untergeordnete Rolle spielen. Daneben wird eine Erhöhung der Ballaststoffaufnahme von mindestens 20-30 g täglich empfohlen. Übrigens haben 2 Scheiben Vollkornbrot á 50 g bereits 7,4 g Ballaststoffe (BLS). Diese Empfehlungen können mit einer vollwertigen, pflanzlichen Ernährung problemlos umgesetzt werden.
Körperliche Aktivität und Stressreduktion, gegebenenfalls begleitende Verhaltens- und Psychotherapie sind außerdem Faktoren, die den Gewichtsverlust positiv beeinflussen können. Die unerwünschte Gewichtszunahme ist nämlich oft nicht nur ein physisches, sondern auch ein emotionales Thema, dessen Ursachen beispielsweise durch eine Gesprächstherapie ergründet und an der Wurzel behandelt werden kann.
Außerdem werden Patienten, vor allem nach erfolgloser Umsetzung der Lebensstilfaktoren medikamentös, mit Antidiabetika therapiert. Insulin sollten Betroffene vom Typ 2 erst dann spritzen, wenn der Blutzuckerspiegel über alle genannten Maßnahmen nicht in den gesunden Bereich gebracht werden kann (Abholz et al., 2013).
Zusammenfassung: Diabetes und unsere Ernährung
Die steigenden Zahlen an Übergewicht gehen gleichzeitig mit der epidemischen Zunahme an Typ 2 Diabetikern einher; sogar schon im Kinder- und Jugendalter. Diese Fakten sprechen für sich und eine Lösung wird verzweifelt gesucht, die im Idealfall verschreibungspflichtige Medikamente umgeht oder so gut es geht, einschränkt. Aber wie kann das unwirksame Insulin auf natürliche Weise wieder zurück in die physiologische Homöostase gebracht werden?
Pflanzlich, vollwertig, tägliche Bewegung sowie mehr Entspannung mit im Gepäck – so lautet die allseits bekannte Devise zur Gewichtsreduktion. Da beim Diabetes Typ 2 mellitus Ernährung und Bewegung eine genauso bedeutsame Rolle spielen wie bei der Behandlung von Übergewicht, ist eine pflanzenbetonte Vollwertkost und Aktivität im Alltag definitiv ein wertvoller therapeutischer Ansatz. Genauer gesagt ist es eine ballaststoffreiche Ernährung mit Bedacht auf den Fettkonsum, die empfohlen wird. Auch die Wissenschaft hat uns schon gezeigt, dass eine naturbelassene Kostform aus Vollkorngetreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen ein potentieller Schlüssel zur Linderung der Diabetessymptomatik sein kann und vor allem eine effektive Präventionsmaßnahme ist.
Liebes ecodemy Team,
vielen Dank für den kurzen, aber inhaltsstarken Artikel zur Ernährung bei Diabetes Typ II. Ich selbst habe einige Typ I Diabetiker in meiner Familie, u. a. lebt meine Mutti seit fast 45 Jahren mit der Autoimmunerkrankung . Sie ernährt sich nicht pflanzenbasiert und konsumiert leider wesentlich mehr Fleisch- und Milchprodukte als vollwertige pflanzliche Lebensmittel. Die für Typ II Diabetiker geltenden Ernährungsempfehlungen lassen sich gut für Menschen mit Typ I übertragen, dessen bin ich mir bewusst. Es ist sicher so, dass sich auch bei Typ I Diabetikern intramyozellulären Lipide entwickeln können, die dem exogen injizierten Insulin dem Weg in die Zielzellen verwehren. Außerdem steht neben dem Ziel der Glucoseaufnahme aus der Blutbahn in die Zellen ja auch ein möglichst konstanter Blutzuckerspiegel ohne heftige Peaks nach oben bzw. unten.
Ich habe dennoch eine besondere Frage hinsichtlich der Wirkung von insulinogen Aminosäuren bei Diabetes Typ I und der anabolen Wirkung des Hormons: Wenn ein Typ I Diabetiker besonders viele tierische Produkte isst, welche insulinogene AS enthalten, ergeben sich daraus besondere Effekte mit dem injizierten Insulin? Wirkt das Insulin evtl. in besonders intensiver Art anabol?
Danke schon mal, fürs erklären ;).
Viele Grüße
Lisa
Hallo liebe Lisa!
Vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar. Freut uns sehr zu hören, dass dir der Artikel gefällt. 🙂
Danke auch für deine spannende Frage. „Insulinogen“ bedeutet, dass ein bestimmter Nährstoff die Sekretion von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse fördert, also Einfluss auf die pankreatischen Inselzellen nimmt. Auf die Intensität seiner Wirkung haben die Nährstoffe der Definition nach keinen Einfluss. Da ersteres (Sekretion) bei Personen mit Diabetes Typ 1 wegfällt, ist mit einer Verstärkung des anabolen Effekts von Insulin nicht zu rechnen. Tatsächlich ist es so, dass Aminosäuren aus tierischem Protein eine teilweise recht hohe insulinogene Wirkung besitzen (Salehi, 2012). Ein direkter Effekt auf das injizierte Insulin ist mir jedoch nicht bekannt. Ich hoffe, dir ein wenig weitergeholfen zu haben.
Ganz liebe Grüße zurück,
Isabel!