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Ein weiteres Mal geht ein besorgniserregender Fall über eine vegane Mangelernährung im Kleinkindalter durch die Medienwelt. Diesmal geht es um ein 19 Monate altes Kleinkind in Sydney/Australien, dessen Eltern vor Gericht stehen bzw. mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen. Sie haben das Kleinkind unter einer (sehr eingeschränkten) veganen Ernährung aufgezogen und aufgrund ihrer schweren Unterentwicklung kam das Mädchen zu einer Pflegemutter. Vorab ist zu erwähnen, dass die Informationen in dem Presseartikel sehr limitiert sind. Wegen der großen Bedeutung einer veganen Ernährung in der sensiblen Phase eines Säuglings bzw. Kleinkindes möchten wir zu diesem Artikel Stellung beziehen.
Stark limitierte Nährstoffversorgung
Laut Angaben aus Unterlagen hätten die Eltern das australische Kleinkind mit Haferflocken, Kartoffeln, Reis, Tofu, Brot, Erdnussbutter, Reismilch, Obst und Rosinen ernährt. Das spricht auf den ersten Blick für eine eingeschränkte Lebensmittelauswahl. Wichtige Bestandteile, wie Gemüse, unterschiedliche Hülsenfrüchte (Linsen, Erbsen, Bohnen), sowie Pflanzenöle für die essenziellen Fettsäuren fehlen komplett. Darüber hinaus wird nichts von einer Supplementierung mit Vitamin B12 bzw. Vitamin D erwähnt. Die Zufuhr dieser Nährstoffe ist vor allem bei veganer Ernährung unbedingt erforderlich:
- Vitamin B12 sollte das Kind von Anfang an als Nährstoffpräparat, am besten in Form von Tropfen, erhalten. Bei einem Mangel kann es unter anderem zu Nervenfunktionsstörungen, kognitiver Beeinträchtigung und Anämie kommen (Leitzmann et Keller, 2013).
- Eine Supplementierung mit Vitamin D ist – je nach Zeitpunkt der Geburt – bis zum erlebten zweiten Frühsommer über 12 bis 18 Monate empfehlenswert (Koletzko, 2016). Vitamin D spielt eine essenzielle Rolle im Knochenstoffwechsel. Ein Mangel kann bei Kindern zur sogenannten Rachitis, sprich Knochenstoffwechselstörungen mit Verformungen des Skeletts, führen (Leitzmann et Keller, 2013).
Daneben ist die Versorgung mit den essenziellen Omega-3-Fettsäuren erwähnenswert. Da die Eltern des unterentwickelten Mädchens laut Angaben keinerlei hochwertige Fettquellen im Speiseplan hatten, liegt ein Mangel dieses Nährstoffs nahe. Für die Beikost sind dieselben Pflanzenöle empfehlenswert wie für Erwachsene, denn diese haben ein besonders geeignetes Fettsäurespektrum: (mildes) Leinöl, Rapsöl sowie ein DHA-angereichertes Pflanzenöl (Keller und Gätjen, 2017; Leitzmann, 2018). Ebenso wichtig ist eine ausreichende Versorgung mit den potenziell kritischen Nährstoffen Jod, Eisen, Zink und Kalzium.
Da das Mädchen stark untergewichtig war, kann man von einer hypokalorischen Kost ausgehen. Das heißt, es wurde mit unzureichender Energie (Kilokalorien) versorgt. Eine adäquate Energiezufuhr ist jedoch die Voraussetzung, um auch essenzielle Nährstoffe in ausreichender Menge aufnehmen zu können. Somit geht die mangelhafte Kalorienzufuhr mit Nährstoffengpässen bzw. körperlichen Defiziten Hand in Hand.
In den Lebensphasen Kindheit und Jugend ist der menschliche Körper im Aufbau und Wachstum, Nährstoffspeicher sind noch nicht ausreichend vorhanden wie das beim Erwachsenen der Fall ist. Gerade deshalb ist eine ausreichende Energie- und Nährstoffzufuhr unerlässlich. Allerdings kann eine Unter- bzw. Mangelversorgung unabhängig von der Ernährungsform zu Unterentwicklung sowie körperlichen (Spät-)Folgen führen. Es beginnt schon mit dem Versorgungszustand der Mutter in Schwangerschaft und Stillzeit. Bei Nährstoffengpässen bzw. vorhandenen Mängel wird der Nachwuchs automatisch in Mitleidenschaft gezogen und kann sich nicht ordnungsgemäß entwickeln. Bei veganer Ernährung sind es eine Handvoll Nährstoffe, denen man besondere Beachtung schenken sollte, sodass gesunde Schwangere, Stillende und ihre Kinder auch problemlos versorgt sind.
Das sagt die Wissenschaft
Die vegane Kinderernährung wurde bislang noch nicht großflächig untersucht, aktuell wird aber in Deutschland dazu geforscht. Die sogenannte VeChi-Studie (Vegetarian and vegan children study) unter der Leitung von Prof. Dr. M. Keller befasst sich mit der pflanzlichen Kinderernährung. Die Forschungsgruppe untersucht den Ernährungs- und Gesundheitszustand von deutschen (Klein-)Kindern im Alter von 0-3 Jahren, die entweder unter einer mischköstlichen, einer vegetarischen oder einer veganen Ernährung aufwachsen. Erste Ergebnisse bestätigen, dass sich die Größen- und Gewichtsentwicklung von vegan ernährten Kinder nicht maßgeblich von ihren mischköstlich ernährten Altersgenossen unterscheiden (Weder et al., 2019). Ebenso gab es in der Energieaufnahme kaum Unterschiede zwischen den drei Ernährungsgruppen. 94 % der veganen Kleinkinder nehmen regelmäßig ein Vitamin B12-Supplement ein, was wiederum für die Aufklärung unter den Eltern spricht (Heger, 2018).
Auch wenn die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die vegane Ernährung für Schwangere, Stillende, Kinder und Jugendliche nicht empfiehlt, sprechen sich internationale Fachgesellschaften (USA, Kanada, Australien, Großbritannien) dafür aus (DGE, 2016; ADA, 2009; Amit, 2010; NDHMRC, 2013; BNF, 2018). Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Ernährung gut geplant und die potenziell kritischen Nährstoffe mitberücksichtigt werden.
Vegane Ernährung für Säugling und Kleinkinder möglich?
Abschließend kann man aus wissenschaftlicher Sicht zusammenfassen, dass eine vegane Ernährung für Säuglinge und Kleinkinder unter bestimmten Voraussetzungen geeignet ist. Wenn Eltern auf ein vollwertiges und ausgewogenes Lebensmittelangebot wert legen und die potenziell kritischen Nährstoffe im Auge behalten, dann können sich auch ihre Kinder gesund entwickeln. Mit einer rein pflanzlichen Ernährung lässt sich die Energie- und Nährstoffzufuhr prinzipiell decken. Ausnahmen sind Vitamin B12 und Vitamin D, die Kleinkinder von Anfang an als Supplement erhalten sollten (Keller und Gätjen, 2017). Für die natürliche Vitamin D-Synthese in der Haut sind außerdem Aufenthalte in der Sonne (März-Oktober) empfehlenswert. Ein DHA-angereichertes Pflanzenöl sorgt für die notwendige Omega-3-Fettsäureversorgung, Nori-Algen (z. B. Flocken) sowie moderate Mengen an jodiertem Speisesalz decken den Jodbedarf und mit Hilfe bestimmter Zubereitungsmethoden (z. B. Einweichen, Keimen, Fermentieren) lassen sich auch die weiteren kritischen Nährstoffe decken. Du kannst außerdem das Angebot an nährstoffangereicherten Produkten, z. B. Pflanzendrinks, und kalziumreiche Mineralwässer nutzen.
Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Vorteile, die der pflanzliche Lebensmittelkorb liefert. Bei relativ geringer Energiedichte sind Gemüse & Co reich an Vitaminen, Mineralstoffen bzw. Spurenelementen. Pflanzliche Nahrungsmittel sind die einzige Quelle für Ballaststoffe sowie die gesundheitlich wertvollen sekundären Pflanzenstoffe. Dadurch haben sie das Potenzial, die Epidemie an Übergewicht, Adipositas und ernährungsbeeinflussbaren Erkrankungen zu reduzieren bzw. zu verhindern (Spencer et al., 2003; Orlich et Fraser, 2014). Jede Ernährungsform hat aus gesundheitlicher Sicht gewisse Vorzüge, aber auch potenzielle Schwachstellen. Im Wesentlichen kommt es auf die Zusammensetzung des jeweiligen Speiseplans an.
In der veganen Schwangerschaft und Stillzeit können speziell darauf ausgerichtete Nahrungsergänzungsmittel die Deckung des (erhöhten) Nährstoffbedarfs erleichtern. Diese sollten in Abhängigkeit von der Gestaltung der Ernährung und unter Betrachtung der Gesundheitsparameter ausgewählt werden.
Der Inhalt dieses Artikels kann und soll eine individuelle Vegane Ernährungsberatung nicht ersetzen. Im Verzeichnis für Vegane Ernährungsberatung findest du, in deiner Nähe vor Ort oder online, fachkundige Unterstützung.
Vegane Ernährung für Mutter und Kind

Hallo Isabel,
ich persönlich finde, dass die vegane Ernährung ein sehr spannendes Thema ist und so viel Möglichkeiten bieten kann. Dabei darf man nicht außer acht lassen, dass man doch einige Dinge beachten muss, wenn man auch den eigenen Kindern diese Lebensweise schmackhaft machen möchte. Ich selbst habe ebenfalls ein Artikel zu diesem Thema verfasst. Das Potenzial der veganen Ernährung ist noch lange nicht am Ende. 🙂
Viele Grüße
Nicolas