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„Vollwertige vegane Ernährung“: Das hört sich ziemlich gesund an, oder? Wahrscheinlich hast du den Begriff auch schon gehört. Aber weißt du, was genau dahinter steckt? Es geht dabei nämlich nicht einfach darum, kein „Junk-Food“ zu essen.
Was diese Ernährungsform umfasst, welche Ziele sie verfolgt und wie du sie selbst umsetzen kannst, das erfährst du in diesem Artikel.
Definition
Es gibt keine einheitliche Definition für eine „vollwertige (vegane) Ernährung“. Wenn du dich mit einer allgemein gesunden Ernährung beschäftigst, wirst du auf unterschiedliche Interpretationen stoßen. Wir beziehen uns im Folgenden vor allem auf die ganzheitliche Definition der vollwertigen Ernährung einer Wissenschaftler-Gruppe. Sie bezeichnen die von ihnen entwickelte Ernährungsform eher als „Vollwert-Ernährung“, was aber meist mit einer „vollwertigen Ernährung“ gleichgesetzt wird.
Doch auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) stellt eine vollwertige Ernährung in den Fokus ihrer Arbeit. Sie sieht diese Ernährungsform als diejenige an, welche den Nährstoffbedarf deckt und beste Gesundheit ermöglicht.
Vollwertige Ernährung
Ein Auszug aus der Definition der Deutschen Gesellschaft für Ernährung lautet:
„Eine vollwertige Ernährung ist die Basis für bedarfsgerechtes, gesundheitsförderndes Essen und Trinken. Sie kann dazu beitragen, Wachstum, Entwicklung und Leistungsfähigkeit sowie die Gesundheit des Menschen ein Leben lang zu fördern bzw. zu erhalten.“ Im Mittelpunkt steht dabei eine bedarfsgerechte Energiezufuhr, ein ausgewogenes Verhältnis der Makronährstoffe sowie eine ausreichende Menge an Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen.“
Bei dieser Definition der DGE ist also die Bedarfsdeckung der Ausgangspunkt und die Art der Lebensmittelauswahl, die diese ermöglicht, wird als vollwertig erachtet. Wie sich eine vollwertige Ernährung praktisch umsetzen lässt, vermittelt die DGE über die 10 Regeln für eine vollwertige Ernährung, den DGE-Ernährungskreis und die Dreidimensionale DGE-Lebensmittelpyramide (dge.de).
(Vegane) Vollwert-Ernährung
Das Ernährungskonzept der Vollwert-Ernährung entwickelten Claus Leitzmann, Karl von Koerber und Thomas Männle. Sie veröffentlichten es das erste mal 1981, die aktuellste Auflage ihres zugehörigen Buches erschien 2012 (Koerber und Leitzmann, 2012). Dieses Konzept unterscheidet sich von der Definition der DGE vor allem darin, dass weniger die bedarfsgerechte Zufuhr bestimmter Mengen an Nährstoffen im Vordergrund steht, sondern die Lebensmittelauswahl. Es gibt also keine Vorgaben zu den Anteilen der Makronährstoffe. Du könntest diese Ernährung beispielsweise auch Low Carb, High Carb, Low Fat, High Fat oder was auch immer dir einfällt, gestalten. Im Gegensatz zur Definition der DGE ist hier die Lebensmittelauswahl der Ausgangspunkt, nicht die Bedarfsdeckung.
Das Besondere: Neben ernährungsphysiologischen werden auch ernährungsökologische und -ökonomische Aspekte betrachtet. Die Ziele der Vollwert-Ernährung umfassen:
- Gesundheit
- Schonung der Umwelt
- Förderung der sozialen Gerechtigkeit auf globaler Ebene.
Sowohl die Empfehlungen der DGE als auch die von Koerber und Leitzmann beinhalten auch Produkte Milch, Fleisch und Fisch sowie daraus hergestellte Produkte. Im Gegensatz dazu verzichtet die davon abgeleitete vegane Vollwert-Ernährung auf alle Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs.
Sie baut auf sieben Grundsätzen auf, zu denen du jetzt näheres erfährst.
Grundsätze der vollwertigen veganen Ernährung
Grundsatz 1: Genussvolle und bekömmliche Speisen
Der erste Grundsatz beruht auf der Annahme, dass eine hohe Lebensqualität einerseits durch die Befriedigung von Bedürfnissen (das für das Überleben Notwendige) und andererseits von Genuss und Gesundheit erreicht wird. Das heißt, die Ernährung sollte die individuelle Verträglichkeit sowie Vorlieben beachten. Der Genuss beim Essen wird gesteigert durch das bewusste Wahrnehmen des Geschmacks, sich Zeit nehmen und ausgiebiges Kauen. Hinzu kommen soziale Komponenten und die Offenheit, Neues auszuprobieren, eine vielfältige Speisenauswahl und keine absoluten Verbote bzw. Restriktionen.
Grundsatz 2: Pflanzliche Lebensmittel
Das Bevorzugen pflanzlicher Lebensmittel hat sowohl ökologische als auch gesundheitliche Vorteile. Für eine rein pflanzliche Ernährung sprechen vor allem ethische Überzeugungen, eine globale Reduktion des Fleischkonsums würde es zudem ermöglichen, mehr Menschen zu ernähren. Die Planetary Health Diet, welche eine verbesserte Gesundheit von Mensch und Planet anstrebt, sieht eine starke Reduktion von Lebensmitteln tierischen Ursprungs als Notwendigkeit (EAT Lancet Commission, 2015). Denn für deren Produktion werden durchschnittlich mehr Ressourcen verbraucht, was vor allem auf den hohen Aufwand für die Futterproduktion zurückzuführen ist.
Grundsatz 3: Bevorzugt gering verarbeitete Lebensmittel
Gering verarbeitete Lebensmittel sind solche, die in ihrer weitestgehenden ursprünglichen Form vorliegen. Mögliche Verarbeitungsschritte umfassen:
- Zerkleinern
- Erhitzen
- Entfernen von Inhaltsstoffen/Bestandteilen (Wasser, Schalen)
- Zugabe von Hilfsstoffen.
Unverarbeitete Lebensmittel haben meist eine höhere Nährstoff- und niedrigere Energiedichte als stärker verarbeitete. Gründe dafür sind u. a.:
- Viele Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe sowie Fettsäuren sind hitzeempfindlich.
- Einige Vitamine und Mineralstoffe sind wasserlöslich – nach dem Kochen in Wasser ist die Konzentration im Lebensmittel geringer.
- Ballaststoffe sind in den Randschichten enthalten, welche beim Ausmahlen verworfen werden.
- Die Zugabe von Fett aus sensorischen Gründen (z. B. Geschmack, Textur) erhöht die Energiedichte und reduziert die Mikronährstoffdichte.
Eine hohe Aufnahme von hochverarbeiteten Lebensmitteln kann aus folgenden gesundheitlichen Gründen problematisch sein:
- Der geringe Ballaststoffanteil kann die (Darm-)Gesundheit beeinträchtigen, das Sättigungsgefühl verringern und damit das Risiko für Übergewicht erhöhen.
- Hoch-verarbeitete Lebensmittel sind oft durch die Kombination von Kohlenhydraten, Fetten und Salz besonders schmackhaft und fördern ein Überessen.
- Die bedarfsgerechte Aufnahme von Mikronährstoffen und essenziellen Fettsäuren wird erschwert.
Neben einem großen Teil an unerhitzten Lebensmitteln (Rohkost) betont die Vollwert-Ernährung auch die frische Kost, d. h. die Lebensmittel sollten möglichst kurz gelagert werden, denn durch Sauerstoff und Licht sinkt der Gehalt einiger Nährstoffe.
Weiteres Plus von gering verarbeiteten Lebensmitteln: Die Verarbeitung von Lebensmitteln verbraucht viel Energie!
Doch verarbeitete Lebensmittel haben auch einige Vorteile. Nicht nur, dass einige Lebensmittel erst durch die Verarbeitung überhaupt konsumiert werden können. Oft schmecken sie einfach besser oder zumindest anders, was Abwechslung ermöglicht und wir müssen uns nur deshalb keine Sorgen um leere Supermarktregale machen und nicht jeden Tag einkaufen. Denn verarbeitete Lebensmittel sind oft länger haltbar. Dadurch wird das Risiko für Lebensmittelverderb und damit einhergehenden Erkrankungen sowie Lebensmittelverschwendung reduziert.
Zudem werden manche Nährstoffe durch Erhitzen, Zerkleinern, Einweichen, Keimen oder Fermentieren besser verfügbar und hemmende Inhaltsstoffe reduziert. Die Entwickler der vollwertigen Ernährung stufen auch Tiefkühlgemüse und -obst als wenig empfehlenswert ein und betonen, es sollte – wenn überhaupt – nur selten verzehrt werden. Das macht die Ernährungsweise für die meisten wenig praktikabel. Denn täglich frisch einkaufen ist meist nicht alltagstauglich und die in der tiefgekühlten Ware enthaltenen Nährstoffgehalte können größer sein als die aus (vermeintlich) frischer.
Weitere Vorteile: Die Nährstoffanreicherung kann besonders für Veganer Vorteile bringen, vor allem bei hohem Energieverbrauch wird der Gastrointestinaltrakt weniger beansprucht, wenn die Lebensmittel stärker verarbeitet sind, Energiedichte Zeitaufwand für die Zubereitung können reduziert werden.
Im Rahmen der vollwertigen Ernährung wird ein Rohkostanteil von 1/3 bis 2/3 empfohlen. So kannst du sowohl von den Vorteilen von verarbeiteten als auch von den nicht-verarbeiteten Lebensmitteln profitieren.
Grundsatz 4: Bevorzugt ökologisch erzeugte Lebensmittel
Die Entwickler der Vollwert-Ernährung argumentieren, dass Bio-Lebensmittel ökologische und gesundheitliche Vorteile bringen.
Die wissenschaftlichen Belege dafür sind nicht ganz eindeutig: Zwar benötigt die Herstellung ökologisch erzeugter Lebensmittel pro Kilogramm Produkt teilweise weniger Energie, allerdings sind die Bewirtschaftungsmethoden und der Pestizideinsatz sind weniger effizient, daher die Erträge geringer und der Flächenbedarf höher. Das wirkt sich auf den CO2-Ausstoß und die Biodiversität aus. Zudem ist der Bürokratieaufwand hoch und kostspielig (Garnett, 2013; Savage, 2015; Muller et al., 2017). Zudem kann durch das Verbot einiger Zusatzstoffe die Lebensmittelproduktion aufwendiger sein. Gesundheitliche relevante Vorteile sind nicht belegt (Smith-Spangler et al., 2012).
Das Abwägen der Vor- und Nachteile des ökologischen Landbaus ist ein komplexes Thema, bei dessen Betrachtung viele Faktoren und Annahmen einbezogen werden müssen. Die Art des Anbaus sowohl der biologischen als auch konventionellen Lebensmitteln spielt eine Beispielsweise sind die wechselnden Fruchtfolgen und der Anbau von Mischkulturen zwar kurzfristig ineffizienter, sie können sich aber im Vergleich zu manchen konventionellen Methoden (zumindest den älteren) positiv auf die Bodengesundheit auswirken. Fest steht: Wer sich gesund ernähren möchte, muss nicht zu Bio-Lebensmitteln greifen. Wenn der Umweltschutz im Fokus steht, so hängen die Auswirkungen von den genauen Anbaumethoden sowie der gesamten Lebensmittelauswahl ab.
Grundsatz 5: Bevorzugt regionale und saisonale Lebensmittel
Kennst du schon unseren Saisonkalender, den wir zu Beginn jeden Monats auf Facebook und Instagram teilen? In unserem Artikel zum Essen nach dem Saisonkalender gehen wir ausführlich auf die Vorteile eines regionalen und saisonalen Einkaufs ein und du kannst dir unseren Jahreskalender herunterladen. Dieser Punkt hat vor allem ökologische Vorteile. Denn somit spart man Ressourcen, die für Transportwege, Lagerung und Aufzucht benötigt werden.
Möglicher Nachteil: Die Lebensmittelauswahl ist eingeschränkt. Wer während der Saison eine größere Menge regionaler Lebensmittel kauft oder gar selbst anbaut, diese einfriert, einkocht, fermentiert etc., der kann sie auch ganzjährig essen. Die Verarbeitung erfordert zwar Energie, aber immer noch weniger als der lange Transport. Manche Lebensmittel wie Hülsenfrüchte oder beispielsweise Amaranth, Chiasamen etc. sind nur schwer aus deutschem Anbau erhältlich. Ein Blick auf die Herkunftsbezeichnung liefert Informationen und oft gibt es heimische Alternativen. Doch auch hier gilt: Ab und zu mal eine Mango oder Banane, ist nichts, wofür du dir Vorwürfe machen musst.
Grundsatz 6: Bevorzugt umweltverträglich verpackte Lebensmittel
Du kennst es sicherlich auch: Die Lebensmittel im Supermarkt, die vielleicht so schön mit dem Hinweis „aus der Region“ versehen sind und dich anlachen, sind in Plastik gehüllt. Muss das sein? Klar, das Plastik oder andere Einweg-Verpackungen haben Vorteile: die Lebensmittel werden beispielsweise zusammengehalten und geschützt. Doch gleichzeitig geht damit eine hohe Umweltbelastung einher. Wer hier eher zu Unverpacktem greift, tut der Umwelt etwas Gutes. Das ist natürlich vor allem bei den gering bzw. unverarbeiteten Lebensmitteln der Fall; Gemüse, Obst, Getreide und Hülsenfrüchte lassen sich relativ gut in Stoffbeuteln oder Gläsern transportieren und aufbewahren. Besonders gut geht das im Unverpackt-Laden – davon gibt es vor allem in größeren Städten immer mehr. Oft ist die Auswahl hierfür im Bioladen größer, doch auch Supermarkt und Discounter legen nach.
Schwieriger wird es bei den stärker verarbeiteten Lebensmitteln. Denn es ist für die Produzenten gar nicht so einfach wie du vielleicht denkst, eine passende nachhaltige Verpackung zu finden. Denn in vielen Materialien bleiben die Lebensmittel nicht lange genug frisch, aromatisch oder anschaulich und sicher. Auch einige scheinbar ökologische Verpackungen sind nicht so nachhaltig wie angenommen, z. B. weil es keine geeignete Entsorgungs- bzw. Recyclingmöglichkeit gibt. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat 2011 einen Leitfaden für Unternehmen für nachhaltige Verpackungen von Bio-Lebensmitteln veröffentlicht, mittlerweile gibt es aber immer mehr innovative Materialien.
Grundsatz 7: Bevorzugt fair gehandelte Lebensmittel
Dieser Punkt macht besonders deutlich, dass es bei der vollwertigen Ernährung nach Koerber und Leitzmann nicht nur darum geht, die eigene Gesundheit zu fördern, sondern auch die soziale Komponente relevant ist.
Der faire Handel soll durch existenzsichernde Löhne, faire Preise und menschenwürdige Arbeitsbedingungen helfen, die Situation benachteiligter Menschen weltweit zu verbessern (MISEREOR, 2021).
Die Arbeitsbedingungen im Ausland entsprechen oft nicht den deutschen Standards; Kinderarbeit, schlechte Bezahlung, keine geregelten Arbeitszeiten, unzureichende Schutzausrüstung sind nicht selten. Diese Bedingungen sind mit ein Grund, warum wir hier günstige Lebensmittel bekommen. Besonders Kaffee, Kakao und Bananen sind prominente Beispiele für Produkte, die oft mit menschenunwürdiger Produktion einhergehen.
Verschiedene Organisationen garantieren, dass die von ihnen produzierten bzw. vertriebenen Lebensmittel unter „fairen“ Bedingungen hergestellt werden. Was genau das bedeutet, variiert, genau wie die Kontrollinstanzen. Informationen auf Internetseiten von Herstellern und Siegeln ermöglichen gewisse Einblicke.
Weiterführende Informationen zum fairen Handel findest du beispielsweise auf der Seite des MISEREOR-Hilfswerks.
Lebensmittelauswahl bei der vollwertigen veganen Ernährung
Aus den vorgestellten Grundsätzen ergibt sich, dass in der veganen Vollwert-Ernährung der Fokus auf folgenden Lebensmitteln liegt:
- (milchsauer vergorenes) Obst und Gemüse: Hälfte Frischkost, Hälfte erhitzt (Tiefkühlkost wird als wenig empfehlenswert eingestuft)
- (gekeimtes) Vollkorngetreide und daraus hergestellte Produkte (z. B. Nudeln, Brot, Müsli)
- gegarte Kartoffeln
- Hülsenfrüchte (gekeimt, blanchiert, erhitzt) und daraus hergestellte Produkte (z. B. Pflanzendrinks, Tofu)
- Nüsse und Samen (unverarbeitete Form, geröstet)
- native Fette und Öle
- Gewürze
- Wasser, Tee, verdünnte Frucht- und Gemüsesäfte.
Das kommt dir bekannt vor? Aus gutem Grund! Denn diese „Vorgaben“ entsprechen denen unserer veganen Ernährungspyramide. Im Fokus stehen dabei Lebensmittel mit hoher Mikronährstoffdichte, vielen sekundären Pflanzenstoffen und Ballaststoffen, so dass das Risiko für Mängel an den potenziell kritischen Nährstoffen reduziert ist. Diese gibt darüber hinaus noch genauere Angaben zu den Mengen bzw. Anteilen und ergänzt die besonders bei veganer Ernährung relevanten Lebensmittel sowie Supplemente. Dort findest du auch konkrete Lebensmittelbeispiele.
Wichtig: Das „Bevorzugt“ in den Grundsätzen heißt nicht „nur“. Jedes Lebensmittel hat einen Platz in einer gesunden Ernährung – Restriktionen und Verbote sind ungesund. Wenn du den Großteil deiner Ernährung abwechslungsreich mit unverarbeiteten Lebensmitteln gestaltest, so ist auch Platz für anderes. Ist dein Nährstoffbedarf gedeckt, bringt mehr nicht mehr. Zudem kann das Bemühen, sich an die „Regeln“ der veganen Vollwert-Ernährung zu halten, zu Stress und schlechtem Gewissen bei Nicht-Einhalten führen. Oft ist es im Alltag nicht möglich, alle Grundsätze (gleichzeitig) einzuhalten.
Wenn du dich innerhalb deiner Möglichkeiten und nach deinem Ermessen in sinnvollem Rahmen an die Grundsätze hältst, tust du dir und dem gesamten Planeten etwas Gutes.
Ist die vollwertige Ernährung gesund?
Wie sich einzelne Inhaltsstoffe und auch Lebensmittel auf Gesundheitsparameter auswirken, ist in zahlreichen Studien untersucht worden. Auch zu Ernährungsformen wie der Mediterranen Diät, einer ketogenen Ernährung oder bestimmten Kohlenhydratanteilen etc. gibt es mehr oder weniger aussagekräftige Studien.
So weisen epidemiologische und Interventionsstudien u. a. darauf hin, dass eine höhere Aufnahme von beispielsweise Ballaststoffen, sekundären Pflanzenstoffen oder auch allgemein Vollkornprodukten, Obst und Gemüse sowie ein geringer Fleischkonsum mit gesundheitlichen Vorteilen einhergehen. Das sind alles Aspekte, welche die Vollwert-Ernährung fokussiert.
Doch bewirkt die Orientierung am Gesamtkonzept der Vollwert-Ernährung auch die erwarteten Gesundheitsvorteile? Da es hier keine Vorgaben für eine Mindest- oder Höchstzufuhr für einzelne Nährstoffe gibt, stellt sich die Frage, wie es um die Nährstoffaufnahme der Anhänger steht. Das wollten die Entwickler selbst wissen und haben daher Anfang der 1990er-Jahre eine Untersuchung mit Personen, die sich vollwertig ernährten, durchgeführt.
Dabei handelt es sich um die sogenannte „Gießener Vollwert-Ernährungsstudie“. Dafür rekrutierten die Forscher 418 Frauen im Alter von 25 bis 65 Jahren, von welchen sich 243 seit mindestens 5 Jahren vollwertig ernährten. Letztere folgten einer vollwertigen ovo-lacto-vegetarischen Ernährung mit sehr wenig Milchprodukten und Eiern oder einer vollwertigen Ernährung mit geringem Fleischkonsum. Die Kontrollgruppe folgte einer gemischten Ernährung, welche etwas gesundheitsbewusster gestaltet war und weniger Fleisch enthielt als die der Durchschnittsbevölkerung.
Was waren also die Ergebnisse und was bedeutet das für dich?
Nährstoffaufnahme bei der vollwertigen Ernährung
Die Unterschiede in der Lebensmittelauswahl der Frauen, welche sich an der Vollwertkost orientierten und denen der Kontrollgruppe kannst du Abbildung 1 entnehmen.
Welche konkrete Auswirkung hat das nun auf die Nährstoffaufnahme?
Makronährstoffe
Die Makronährstoffverteilung der vegetarischen Vollwertköstlerinnen entsprach am ehesten den Empfehlungen der DGE, lediglich die Fettzufuhr war etwas zu hoch. Da ihr Körpergewicht im Durchschnitt im Normalbereich lag, ist die etwas zu hohe Fettaufnahme nicht kritisch zu sehen, sondern in Bezug auf die Aufnahme von fettlöslichen Inhaltsstoffen eher positiv. Auch positiv fiel der eher geringe Anteil an gesättigten Fettsäuren auf.
Die gesamte Energieaufnahme lag etwas unter den Empfehlungen. Die Richtwerte für die Energieaufnahme sind aber nicht allgemeingültig und weichen vom individuellen Bedarf stark ab. Allerdings kann eine vollwertige Ernährung mit vielen unverarbeiteten Lebensmitteln dazu führen, dass das Sättigungsgefühl durch das hohe Volumen und die enthaltenen Ballaststoffe (zu) schnell einsetzt. Dem kann man entgegenwirken, indem man sein Körpergewicht beachtet und bei ungewolltem Verlust die Energiedichte der Ernährung erhöht und gegebenenfalls die Ballaststoffaufnahme reduziert, z. B. durch eine erhöhte Fettaufnahme, höherem Getreide- und Hülsenfrucht- statt Gemüsekonsum und der Verwendung von Soßen etc. Auch lag der durchschnittliche BMI bei vollwertiger Ernährung im niedrigen Normalbereich, so dass von einer ausreichenden Energieversorgung auszugehen ist. Demzufolge kann eine solche Ernährungsweise das Ziel einer Körpergewichtsreduktion oder aber das Halten eines gesunden Gewichts erleichtern.
Durch die großen Verzehrsmengen von Gemüse, Obst und Vollkornprodukten war die Aufnahme von komplexen Kohlenhydraten und Ballaststoffen hoch, was als gesundheitsförderlich angesehen wird.
Mikronährstoffe
Die Nährstoffaufnahme der untersuchten Frauen, welcher der Vollwert-Ernährung folgten, lag für Vitamin B12, Vitamin D, Folat und Calcium unter den DGE-Empfehlungen. Das zeigt erneut, dass eine Supplementation von Vitamin B12 und Vitamin D bei veganer Ernährung notwendig ist und die Calcium-Aufnahme beachtet werden muss. Die Folataufnahme der untersuchten Vegetarierinnen entsprach im Durchschnitt den Empfehlungen, was bei der Kontrollgruppe nicht der Fall war (Keller und Gätjen, 2017).
Nährstoffversorgung bei Vollwert-Ernährung
Die Blutuntersuchungen zeigten, dass 20 % der Frauen, die sich damals vegetarisch vollwertig ernährten, eine mangelhafte Vitamin B12-Versorgung aufwiesen, auch wenn keine Mangelerscheinungen wie eine Anämie festgestellt wurden. Wahrscheinlich ist es für dich nichts Neues: Eine Vitamin-B12-Supplementation ist bei veganer Ernährung Pflicht! Immer mehr Veganer wissen das, was die Häufigkeit eines Mangels heute verringern dürfte (Menzel et al., 2021).
Ebenfalls kritisch zu sehen ist die Eisenversorgung. Hier spiegelt sich die geringe Bioverfügbarkeit von Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln wider, denn die Eisenaufnahme der vegetarischen Vollwertköstlerinnen lag über dem DGE-Referenzwert, der Ferritinwert wies jedoch bei 33 % der Vegetarierinnen auf einen Eisenmangel hin. Maßnahmen, um die Bioverfügbarkeit von Eisen zu erhöhen, sollten also bei veganer Vollwert-Ernährung beachtet werden. Kombiniere also beispielsweise Vitamin-C-reiche zu eisenhaltigen Lebensmitteln und weiche diese vor dem Verzehr ein.
Blutfettwerte bei Vollkosternährung
In der Gießener Vollkoststudie waren die Blutfettwerte der untersuchten Frauen, die sich vollwertig vegetarisch ernährten, insgesamt gut. Sie wiesen eine höhere Konzentration des HDL-Cholesterins auf und geringe Triglyzerid-Werte im Blut, was mit einem potenziell geringerem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden wird. In diesem Teil der Untersuchung zeigte sich zudem ein zusätzlicher Grund für eine ausreichende Vitamin-B12-Versorgung: Die Vegetarierinnen, die einen niedrigeren Vitamin-B12-Spiegel aufwiesen, hatten höhere Homocystein-Konzentrationen im Blut. Diese werden wiederum mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten in Verbindung gebracht (Hoffman et al., 2001).
Insgesamt zeigt sich, dass die Vollwert-Ernährung mit einer insgesamt gesundheitsförderlichen Nährstoffzufuhr und guter Gesundheit verbunden war, manche Nährstoffe aber unzureichend aufgenommen wurden. Bei diesen handelt es sich um die bekannten bei einer veganen Ernährung potenziell kritischen Nährstoffe. Wer ein paar Tipps zu Lebensmittelkombinationen und Zubereitung beachtet, kann dieser aber in der Regel auch bei einer rein pflanzlichen Ernährung decken.
Klar ist: Die Ergebnisse der Gießener Vollwertstudie lassen sich nur bedingt allgemein auf eine vegane vollwertige Ernährung übertragen. Zwar ist die Studie schon alt, doch das Gute ist, dass sich an den unverarbeiteten Lebensmitteln wenig geändert hat. Da vielmehr die Auswahl an den hoch verarbeiteten Produkten stark angestiegen ist, könnte der Unterschied zwischen einer vollwertigen und „herkömmlichen“ Ernährung heute größer ausfallen.
Doch eine solche Querschnittsstudie, in welcher zu einem Zeitpunkt (bzw. über sieben Tage) die Nahrungsaufnahme anhand eines Schätzprotokolls ermittelt wird, hat gewisse Schwächen. Unklar ist, ob die sieben Tage die übliche Ernährung widerspiegeln, ob die Lebensmittelaufnahme genau genug erfasst wurde und inwiefern die langfristige Ernährung wirklich der Vollwertkost entsprach. Zudem waren die Untersuchten nur Frauen in mittlerem Alter, für andere Bevölkerungsgruppen sind daher nur bedingt Aussagen ableitbar.
Koerber und Leitzmann bewerten die Vollkosternährung als angemessen für alle Bevölkerungsgruppen (Kinder, Schwangere und Stillende, Sportler, Alte) – wobei diese je nach speziellem Bedarf auf einige Nährstoffe besondere Aufmerksamkeit legen müssen.
Umsetzung der ausgewogenen vollwertigen Ernährung
Wenn du dich jetzt fragst, wie du das alles in die Praxis umsetzen sollst und dich überfordert fühlst, so ist das nicht verwunderlich. Das ist eine Menge, die es zu beachten zu geben scheint. Doch es geht nicht darum, alles „perfekt“ zu machen. Alle Grundsätze beinhalten den Zusatz „bevorzugt“. Dies zeigt, dass es weder möglich noch nötig ist, diese immer 100 % umzusetzen. Wie bereits erwähnt, kann genau dieses Bestreben zu Druck und Stress und damit verminderter Gesundheit führen. Es ist möglich, sich gesund und nachhaltig zu ernähren, ohne alle Aspekte immer und überall zu beachten. Wenn jeder ein wenig mehr darauf achtet, so kann dies schon einen bedeutenden Unterschied machen.
Unsere Tipps für deine vollwertige vegane Ernährung
- Orientiere dich an unserer veganen Ernährungspyramide. Daran siehst du anschaulich, mit welchen vollwertigen veganen Lebensmitteln du deinen Nährstoffbedarf decken kannst.
- Wenn du dir Gedanken machst, wie du dir das alles leisten sollst: Auch hier hilft der Fokus auf möglichst unverarbeitete und saisonale Lebensmittel. Die sind nämlich ziemlich kostengünstig im Vergleich zu den verarbeiteten. Damit kannst du dann selbst kreativ werden in der Küche; Gewürze und Soßen sowie unterschiedliche Zubereitungsarten machen aus den scheinbar einfachen Lebensmitteln immer wieder andere raffinierte Speisen.
- Beachte Zubereitungshinweise, um die Aufnahme der potenziell kritischen Nährstoffe zu unterstützen und vergiss die Supplementierung der Nährstoffe nicht, für die dies bei dir nicht für die Bedarfsdeckung ausreicht.
- Beachte bei der Lebensmittelauswahl deine individuellen Verträglichkeiten und Vorlieben.
- In einer gesunden, vollwertigen Ernährung gibt es keine Verbote.
Fazit
Die vegane Vollwert-Ernährung nach Koerber und Leitzmann gibt Leitlinien zur Lebensmittelauswahl, welche es ermöglichen sollen, den Nährstoffbedarf zu decken und sich gleichzeitig sozial und ökologisch vorteilhaft auszuwirken.
Da das Konzept Ende der 1990er Jahre entwickelt wurde, sind neuere Erkenntnisse teilweise nicht beachtet und führen zu unnötigen Einschränkungen. Manche der Grundsätze verkomplizieren eine gesunde und gerechte Ernährung. Das kann für viele Menschen, die sich bisher wenig mit gesunder Ernährung auseinandergesetzt haben, zusätzliche Hürden darstellen und letztlich verhindern, dass sie ihre Ernährung umstellen. Einige der als „ungünstig“ eingestuften Lebensmittel bzw. deren Verarbeitung erleichtern es vielen Personen, ihren Nährstoffbedarf zu decken und können die weltweite Ernährungssicherheit unterstützen.
Bei anderen, die sich bereits „gut“ ernähren und ihre Ernährung weiter optimieren möchten, können die Vorgaben zu schlechtem Gewissen und Verzweiflung bei dem Versuch, alles zu perfektionieren führen. Das Abwägen von Vor- und Nachteilen, wenn nicht alles eingehalten werden kann, führt nicht selten zu Frustration und Stress.
Aber: Auch die Autoren betonen, dass es sich um keinen dogmatischen Ansatz handelt, da die individuelle Umsetzbarkeit sowie der Genuss im Vordergrund stehen.
Eine davon abgeleitete vegane vollwertige Ernährung, wie sie beispielsweise unsere Vegane Ernährungspyramide darstellt, entspricht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und erleichtert die Umsetzung im Alltag.
Pflanzliche Proteinquellen

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