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Anhaltende Müdigkeit, diffuse Schmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten – Beschwerden, für die sich oft keine klare Ursache finden lässt. Könnte ein unterschwelliger Prozess im Körper dahinterstecken? Immer häufiger rückt die sogenannte stille Entzündung in den Fokus. Im Gegensatz zur bekannten akuten Entzündung mit deutlichen Symptomen wie Rötung oder Schwellung, handelt es sich hierbei um einen chronischen, oft unbemerkten Alarmzustand des Immunsystems, auch „Low-Grade Inflammation“ genannt.
Obwohl sie im Verborgenen agiert, wird diese stille Entzündung zunehmend als möglicher Faktor bei der Entstehung oder Verschlimmerung von Zivilisationskrankheiten diskutiert (Furman et al., 2019; Pahwa et al., 2024). In diesem Artikel erfährst du, was genau stille Entzündungen sind, welche Mechanismen ihnen zugrunde liegen könnten, welche langfristigen Folgen sie möglicherweise haben und wie eine bewusste, pflanzenbetonte Ernährung dazu beitragen kann, diesen Prozessen entgegenzuwirken.
Was sind stille Entzündungen?
Im Gegensatz zum lauten Alarm einer akuten Entzündung, der schnell unsere Aufmerksamkeit erregt, arbeitet die stille Entzündung eher wie ein defekter Rauchmelder, der konstant ein leises, kaum hörbares Piepen von sich gibt. Es handelt sich um eine chronische, unterschwellige (low-grade) Entzündungsreaktion, bei der das Immunsystem nicht zur Ruhe kommt, sondern dauerhaft leicht aktiviert bleibt.
Statt einer massiven Ausschüttung von Botenstoffen wie bei einer akuten Infektion werden bei einer stillen Entzündung kontinuierlich geringe Mengen entzündungsfördernder Zytokine freigesetzt. Dazu gehören beispielsweise Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α), Interleukin-1 (IL-1) und Interleukin-6 (IL-6) (Asensi et al., 2023). Diese Moleküle halten den Körper in einem Zustand latenter Alarmbereitschaft, ohne jedoch die typischen, starken Entzündungssymptome wie Fieber, ausgeprägte Rötung oder starke Schwellungen auszulösen.
Stattdessen äußert sich die stille Entzündung oft durch unspezifische Beschwerden, die leicht fehlinterpretiert werden können: Dazu zählen anhaltende Müdigkeit, allgemeine Abgeschlagenheit, leichte Gelenk- oder Muskelschmerzen, Konzentrationsstörungen oder auch eine erhöhte Infektanfälligkeit (Hahn et al., 2023; Pahwa et al., 2024). Weil diese Symptome so diffus sind und vielen anderen Ursachen zugeordnet werden können, bleibt die zugrundeliegende stille Entzündung oft lange Zeit unbemerkt. Genau das macht sie so tückisch: Während im Hintergrund der „Schwelbrand“ weiterläuft, können über Jahre hinweg unbemerkt Schäden an Geweben und Organen entstehen.
Langfristige Folgen stiller Entzündungen
Auch wenn die Symptome oft diffus oder gar nicht vorhanden sind, kann diese chronische „Low-Grade Inflammation“ weitreichende Konsequenzen für die Gesundheit haben. Sie wird als ein wichtiger Faktor betrachtet, der zur Entstehung oder zum Fortschreiten zahlreicher chronischer Erkrankungen beitragen kann. Stell dir vor, die ständige leichte Reizung führt langsam aber sicher zu Verschleißerscheinungen an verschiedenen „Bauteilen“ deines Körpers.
In wissenschaftlichen Studien werden stille Entzündungen mit einem erhöhten Risiko für eine ganze Reihe von Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht (Furman et al., 2019; Hahn et al., 2023):
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Chronische Entzündungsprozesse sind ein wesentlicher Treiber der Arteriosklerose („Arterienverkalkung“). Sie fördern die Bildung und Instabilität von Plaques in den Blutgefäßen, was das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich erhöht (Chen et al., 2023).
- Stoffwechselstörungen: Stille Entzündungen sind eng mit der Entwicklung einer Insulinresistenz verknüpft – einem Zustand, bei dem die Körperzellen schlechter auf Insulin reagieren. Dies ist ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes und dem Metabolischen Syndrom (einem Cluster aus Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und erhöhten Blutzuckerwerten) (Lontchi-Yimagoue et al., 2013; Hahn et al., 2023).
- Neurodegenerative Erkrankungen: Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass chronische Entzündungsprozesse im Gehirn zur Entstehung oder zum Fortschreiten von Erkrankungen wie Alzheimer oder anderen Formen von Demenz beitragen könnten. Das Phänomen des „Inflammaging“, also der altersbedingten Zunahme chronischer Entzündungen, spielt hierbei eine Rolle (Di Giosia et al., 2022; Hahn et al., 2023).
- Autoimmunerkrankungen: Bei Autoimmunerkrankungen greift das Immunsystem körpereigenes Gewebe an. Chronische Entzündungen können diese fehlgeleiteten Immunreaktionen verstärken oder möglicherweise sogar deren Entstehung begünstigen (Brandes et al., 2019). Beispiele sind rheumatoide Arthritis oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
- Erhöhtes Krebsrisiko: Anhaltende Entzündungsprozesse können das Zellwachstum und die Zellteilung stören und werden mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten in Verbindung gebracht (Hahn et al., 2023).
- Hauterkrankungen: Bei Menschen mit chronisch-entzündlichen Hauterkrankungen wie Psoriasis (Schuppenflechte) oder Neurodermitis können stille Entzündungsprozesse im Körper die Symptome verschlimmern (Has et al., 2022; Shirley et al., 2024).
Ein besonders problematischer Aspekt ist, dass viele dieser Erkrankungen selbst wiederum die systemische Entzündungsreaktion weiter anfeuern können. So entsteht oft ein Teufelskreis, bei dem sich Krankheit und Entzündung gegenseitig verstärken (Hahn et al., 2023). Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, stille Entzündungen frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Mechanismen hinter dem Schwelbrand: Wie entstehen stille Entzündungen?
Stille Entzündungen entstehen nicht über Nacht. Sie sind das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren, die das Immunsystem dauerhaft in einen leicht reizbaren Zustand versetzen. Doch welche Prozesse laufen dabei im Hintergrund ab? Diese Mechanismen greifen oft ineinander und verstärken sich gegenseitig:
- Oxidativer Stress: Ein Ungleichgewicht mit Folgen
Im Stoffwechsel werden ständig sogenannte reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies (ROS/RNS) produziert, auch als freie Radikale bekannt. Das ist bis zu einem gewissen Grad normal und sogar notwendig für Zellfunktionen. Probleme entstehen jedoch, wenn ein Ungleichgewicht herrscht – also zu viele dieser reaktiven Moleküle gebildet werden oder die körpereigenen Schutzmechanismen (Antioxidantien) überfordert sind. Dieser Zustand wird als oxidativer Stress bezeichnet. Freie Radikale können dann Zellstrukturen wie Fette, Proteine und sogar die DNA angreifen und schädigen. Chronische Entzündungen gehen oft Hand in Hand mit erhöhtem oxidativem Stress, wobei sich beide Prozesse gegenseitig verstärken können: Die Entzündung fördert die Bildung von ROS/RNS, und diese wiederum heizen die Entzündung weiter an (Rösch, 2018; Martin und Völkner, 2023). - Viszerales Fett: Mehr als nur ein Polster (Metaflammation)
Besonders das Fettgewebe im Bauchraum, das die inneren Organe umgibt (viszerales Fett), spielt eine Rolle. Es ist nicht nur ein Energiespeicher, sondern ein hormonell aktives Organ, das eine Vielzahl von Botenstoffen, sogenannte Adipokine, produziert. Bei Übergewicht, insbesondere bei zu viel Bauchfett, gerät dieses Gewebe unter Stress. Die Fettzellen vergrößern sich, leiden unter Sauerstoffmangel (Hypoxie) und schütten vermehrt entzündungsfördernde Adipokine wie Leptin, TNF-α und IL-6 aus. Gleichzeitig locken sie Immunzellen, vor allem Makrophagen, ins Fettgewebe (Hahn et al., 2023; Castro et al., 2017). Normalerweise dominieren im Fettgewebe eher entzündungshemmende M2-Makrophagen. Bei Übergewicht kippt das Gleichgewicht jedoch zugunsten der entzündungsfördernden M1-Makrophagen. Diese produzieren weitere Zytokine und verstärken die lokale Entzündung (Fantuzzi, 2005). Die vom Fettgewebe freigesetzten Botenstoffe gelangen ins Blut und können so systemische Entzündungen im ganzen Körper fördern – ein Prozess, der als Metaflammation bezeichnet wird und eng mit Insulinresistenz zusammenhängt. - Gestörte Darmflora (Dysbiose): Ein Leck im System
Der menschliche Darm beherbergt Billionen von Mikroorganismen, die eine entscheidende Rolle für das Immunsystem spielen. Gerät dieses Ökosystem – die Darmmikrobiota – aus dem Gleichgewicht (Dysbiose), kann dies weitreichende Folgen haben. Eine ungünstige Zusammensetzung der Darmbakterien, oft gefördert durch eine ballaststoffarme, fett- und zuckerreiche Ernährung, kann die Darmbarriere schwächen („Leaky Gut“). Dadurch können bakterielle Bestandteile, insbesondere Lipopolysaccharide (LPS), aus dem Darm in den Blutkreislauf gelangen. Das Immunsystem erkennt diese als Gefahr und reagiert mit einer systemischen Entzündungsantwort, die wiederum stille Entzündungen im ganzen Körper unterhalten kann (Hutchinson et al., 2020; Hahn et al., 2023). - Anhaltende Trigger durch den Lebensstil
Eine dauerhaft ungünstige Ernährung, anhaltender Stress, Schlafmangel und zu wenig Bewegung können die oben genannten Mechanismen (oxidativer Stress, Dysbiose, Metaflammation) aufrechterhalten oder sogar verstärken (Pahwa et al., 2024; Burini et al., 2020).
Ernährung als Antreiber oder Lösung?
Nun stellt sich die entscheidende Frage: Was kann diese Prozesse beeinflussen? Die Antwort liegt zu einem großen Teil auf unserem Teller. Die Ernährung kann entweder als „Brandbeschleuniger“ wirken und den Schwelbrand anheizen oder als gezieltes „Löschmittel“ dienen, um die Flammen einzudämmen.
Wie Ernährung Entzündungen fördern kann
Eine typische westliche Ernährungsweise, die reich an Zucker, gesättigten und Transfettsäuren, stark verarbeiteten Produkten und gleichzeitig arm an Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen ist, trägt auf mehreren Ebenen zur chronischen Entzündung bei (Clemente-Suárez et al., 2023; Hahn et al., 2023):
- Sie fördert oxidativen Stress, da ihr oft die notwendigen Antioxidantien fehlen, um freie Radikale in Schach zu halten.
- Sie kann zu einer Dysbiose im Darm führen, die Darmbarriere schädigen und so das Immunsystem durch eindringende Bakterienbestandteile (LPS) triggern.
- Sie begünstigt Übergewicht und die Ansammlung von viszeralem Fett, welches wiederum über die Metaflammation die Entzündungsprozesse anheizt.
Damit kann sie das Risiko für diverse Erkrankungen fördern (Abbildung 1).

Die anti-entzündliche Wirkung pflanzlicher Lebensmittel
Glücklicherweise bietet eine bewusste, pflanzenbetonte Ernährung eine Fülle an Werkzeugen, um diesen negativen Effekten entgegenzuwirken und stille Entzündungen zu bekämpfen:
- Antioxidantien: Obst, Gemüse, Kräuter und Gewürze sind wahre Kraftpakete an Antioxidantien. Vitamin C, Vitamin E, Carotinoide, Flavonoide und viele andere sekundäre Pflanzenstoffe neutralisieren freie Radikale und schützen deine Zellen vor oxidativem Stress – eine der Hauptursachen für chronische Entzündungen. Je bunter und vielfältiger deine Auswahl, desto breiter ist das Spektrum an Schutzstoffen!
- Omega-3-Fettsäuren: Diese Fettsäuren dienen als Bausteine für entzündungshemmende Botenstoffe (Resolvine) und können gleichzeitig die Produktion entzündungsfördernder Substanzen (bestimmte Eicosanoide) drosseln. Pflanzliche Quellen für die wichtige Vorstufe Alpha-Linolensäure (ALA) sind Leinsamen, Chiasamen, Hanfsamen und Walnüsse sowie die daraus gewonnenen Öle. Für die besonders wirksamen langkettigen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA ist Algenöl eine hervorragende vegane und vegetarische Quelle.
- Ballaststoffe: Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Nüsse und Samen sind reich an Ballaststoffen. Diese unverdaulichen Pflanzenfasern sind das Lieblingsfutter der gesundheitsförderlichen Darmbakterien. Wenn diese Bakterien Ballaststoffe fermentieren, produzieren sie kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat. Butyrat wirkt direkt entzündungshemmend, nährt die Zellen der Darmschleimhaut und hilft, die wichtige Darmbarriere intakt zu halten. Das verhindert, dass unerwünschte Stoffe wie LPS in den Blutkreislauf gelangen und systemische Entzündungen auslösen (Hamer et al., 2008; Gill et al., 2022).
- Unterstützende Mikronährstoffe: Auch Mineralstoffe wie Magnesium, Zink und Selen, reichlich vorhanden in Nüssen, Samen, Hülsenfrüchten und Vollkorn, sind an unzähligen Immunfunktionen beteiligt und unterstützen die körpereigenen antioxidativen Systeme (Weyh et al., 2022).
Eine Ernährung, die reich an diesen pflanzlichen Komponenten ist, bekämpft stille Entzündungen also an mehreren Fronten gleichzeitig: Sie reduziert oxidativen Stress, fördert ein gesundes Darmmikrobiom, liefert entzündungshemmende Fettsäuren und unterstützt das Immunsystem mit wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen.
Fazit: Stille Entzündungen erkennen und aktiv werden
Stille Entzündungen mögen unsichtbar sein, ihre potenziellen Auswirkungen auf die langfristige Gesundheit sind es jedoch nicht. Sie stellen einen unterschätzten Risikofaktor dar, der mit vielen chronischen Beschwerden und Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. Die Mechanismen – von oxidativem Stress über ein aktives Fettgewebe bis hin zu einer gestörten Darmflora – zeigen, wie komplex die Prozesse im Hintergrund ablaufen können.
Die gute Nachricht ist jedoch: Du bist diesem Geschehen nicht tatenlos ausgeliefert. Chronische Entzündungen sind oft eng mit dem Lebensstil verknüpft und daher zu einem großen Teil beeinflussbar. Eine bewusste, pflanzenbetonte Ernährung, reich an Antioxidantien, Ballaststoffen und ungesättigten Fettsäuren, ist dabei ein zentraler Baustein, um den „Schwelbrand“ einzudämmen. Sie liefert dem Körper genau die Werkzeuge, die er braucht, um Entzündungsprozesse zu regulieren und sich selbst zu schützen.
Natürlich ist Ernährung nicht alles. Ein ganzheitlicher Ansatz, der auch regelmäßige Bewegung, effektives Stressmanagement und ausreichend erholsamen Schlaf umfasst, ist entscheidend, um das Entzündungsgeschehen im Gleichgewicht zu halten. Achte auf die Signale deines Körpers, reflektiere deine Lebensgewohnheiten und triff bewusste Entscheidungen für deine Gesundheit, um stillen Entzündungen vorzubeugen.
Nachhaltiges Gewichtsmanagement mit veganer Ernährung

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