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Vegane Schulverpflegung: Wie kann sie gelingen?
Eigentlich soll die Schulverpflegung den Eltern Arbeit abnehmen und dafür sorgen, dass die Kinder gut mit Nährstoffen versorgt konzentriert lernen können.
Doch die Realität sieht – vor allem für vegane Kinder und ihre Eltern – anders aus: Ein veganes Angebot? Fehlanzeige! Wir fragen uns: Warum ist das (immer noch) so? Schließlich ernähren sich immer mehr Menschen vegan, das Angebot im Supermarkt und in der Gastronomie steigt. Zudem zeigt die aktuelle Studienlage, dass eine vegane Ernährung für alle Altersgruppen geeignet ist, auch für Schulkinder.
In unserem Artikel erfährst du, was für und was gegen eine vegane Schulverpflegung spricht, wie eine gesunde vegane Mittagsverpflegung umgesetzt werden kann und was Eltern von veganen Kindern tun können, damit ihre Bedürfnisse bzw. die ihrer Kinder nicht zu kurz kommen.
Wusstest du, dass…
… man in Deutschland keinen Anspruch auf eine vegane Schulverpflegung hat? Wird kein veganes Essen bereitgestellt, kann unter Umständen eine Befreiung von den Kosten beantragt werden. Dies bedarf aber häufig aufwendiger Rechtfertigungen (veganes-recht.de).
Der aktuelle Stand: Wie vegan ist die Schulverpflegung?
Einige deutsche Schulen orientieren sich bei ihrem Verpflegungsangebot an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Diese hat für unterschiedliche Settings Qualitätsstandards entwickelt, darunter auch einen für die Schulverpflegung.
Der aktuelle Qualitätsstandard soll sicherstellen, dass die Schulverpflegung gesundheitsförderlich und nachhaltig ist. Doch das Wort „vegan“ sucht man darin vergeblich. Immerhin werden Empfehlungen für ovo-lakto-vegetarische Mahlzeiten (sie enthalten also neben pflanzlichen Lebensmitteln Milch und Ei) aufgeführt. Es soll täglich ein vegetarisches Angebot geben.
Dabei betont die DGE, dass Produkte tierischen Ursprungs, vor allem Fleisch- und Wurstwaren, aus gesundheitlicher und nachhaltiger Sicht weniger vorteilhaft sind – eine spärliche Integration in den Speiseplan wird empfohlen. 2018 führte die DGE die Kriterien für eine ovo-lakto-vegetarische Menülinie in der Gemeinschaftsverpflegung ein und in ihrem aktuellen Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen ist nur noch maximal einmal die Woche Fleisch vorgesehen. Es hat sich also schon einiges getan. Doch ein vollkommener Verzicht unter Beachtung der empfohlenen Nährstoffzufuhr wird leider nicht konkret in Betracht gezogen.
Aktuell ist dieser Standard nur für Schulen im Saarland, in Hamburg, Bremen und Berlin verpflichtend (NQZ, 2022). Allerdings orientieren sich z. B. die Schulen in Berlin nicht an der aktuellen Auflage von 2020, sondern der vorherigen aus dem Jahr 2014.
Nach einer Untersuchung der HAW Hamburg aus dem Jahr 2015 standen bei mehr als zwei Dritteln der deutschen Schulen mehr als acht mal in zwanzig Verpflegungstagen Fleisch und Wurst auf dem Speiseplan. Das tägliche vegetarische Angebot bot knapp die Hälfte der Schulen (Arens-Azevedo et al., 2015).
Doch warum gibt es keine veganen Angebote in der Schulverpflegung?
Was spricht gegen eine vegane Schulverpflegung?
- Die DGE spricht generell keine Empfehlung für eine vegane Kinderernährung aus. Sie sieht zwar das gesundheitsförderliche Potenzial, die aktuelle Studienlage erachtet sie aber nicht als ausreichend für eine klare Empfehlung (Richter et al., 2020)
- Es ist unklar, wie viele Kinder das Angebot der veganen Schulverpflegung nutzen. Gerade zu Beginn kann es schwierig zu kalkulieren sein.
- Es wird argumentiert, dass es zu wirtschaftlichen Einbußen käme. Das vegane Angebot sei teurer.
- Wird kein rein veganes Angebot umgesetzt, muss gegebenenfalls darauf geachtet werden, dass Produkte pflanzlichen und tierischen Ursprungs getrennt voneinander verarbeitet werden.
- Die Entwicklung und Umsetzung von Speiseplänen kann aufwendiger sein, da bestimmte Lebensmittelkombinationen zur verbesserten Nährstoffaufnahme notwendig sind.
- Wenn nicht mit zusätzlicher Aufklärung über eine ausgewogene vegane Ernährung (inklusive Supplementierung)verbunden, kann es dazu kommen, dass Kinder zwar die vegane Ernährung befürworten, diese dann aber zu Hause nicht gesund umsetzen können.
Im Vordergrund steht die Sorge um eine unzureichende Nährstoffversorgung der Kinder, ergänzt durch erhöhten Aufwand. Doch ist das wirklich so?
Was spricht für eine vegane Schulverpflegung?
- Nach aktuellem Wissensstand kann eine vegane Kinderernährung gesund gestaltet sein. Sie ist bei durchdachter Umsetzung nicht mit negativen Folgen verbunden und kann Vorteile mit sich bringen. Zu diesem Schluss kommen auch Ernährungsgesellschaften in anderen Ländern (Melina et al., 2016; BDA, 2017; Agnoli et al., 2017).
- Die Angst, dass es ohne (B12-)Supplementierung gleich zu Mängeln kommt, wenn beispielsweise einmal am Tag ein rein pflanzliches Gericht gegessen wird, ist unbegründet. Vielmehr ist es so, dass sehr viele Kinder von einer veganen Mahlzeit in der Schule profitieren würden, weil im Elternhaus zu viele tierische Produkte verzehrt werden.
- Eine vegane Schulverpflegung kann sicherstellen, dass alle Kinder mindestens eine nährstoffdichte Mahlzeit am Tag bekommen – unabhängig von der Ernährungsform.
- Vegane Schulverpflegung kann anschaulich zeigen, wie eine gesundheitsförderliche vegane Mahlzeit aussehen kann. Die Kinder nehmen diese Eindrücke mit nach Hause und können ihren (eventuell weniger gut informierten) Eltern somit neue Impulse und Wissen an die Hand geben.
- Nicht-vegane Kinder können problemlos eine vegane Mahlzeit essen. Andersherum funktioniert das nicht.
- Kinder, die unbedingt Produkte tierischen Ursprungs essen möchten, können dies bei nicht rein-veganem Angebot weiterhin oder in anderen Mahlzeiten tun.
- Ein Schulumfeld, in dem auch Kinder, die keine Produkte von Tieren essen möchten, mitberücksichtigt werden, ist inklusiver – und davon profitieren letztlich alle.
- Mischköstlich oder vegetarisch ernährte Kinder sehen, dass eine tierfreundliche Ernährung lecker ist und funktioniert. Es ist nicht mehr „normal“, dass Produkte tierischen Ursprungs in jeder Mahlzeit integriert sind. Die Kinder können dieses Wissen in ihre Familien tragen und somit Multiplikatoren für eine vegane Ernährung werden. Die Tiere profitieren davon und insgesamt können die Kinder mehr Mitgefühl für ihre Umwelt entwickeln.
- Sehen die Kinder, dass sie auf nichts verzichten müssen, können eventuelle Vorbehalte gegen die vegane Schulverpflegung abgebaut werden – und möglicherweise werden die veganen Speisen den nicht-veganen dann auch vorgezogen.
- Es sind weniger Hygienemaßnahmen notwendig, da rohes Fleisch sonst getrennt von anderen Lebensmitteln verarbeitet werden muss.
- Es besteht die Gefahr einer mangelhaften Nährstoffzufuhr, wenn vegane Kinder gar nichts essen, lediglich nicht-vegane Bestandteile weglassen oder selbst zubereitete, nicht ausgewogene vegane Speisen mitbekommen.
- Eltern veganer Kinder werden entlastet, da sie sich nicht um die Zubereitung des Mittagsessens sorgen müssen.
- Das vegane Angebot kann mit Ernährungsbildung verbunden werden durch zusätzliche Informationen, z. B. zur notwendigen Supplementierung.
Wie kann eine vegane Schulverpflegung aussehen?
Wichtig ist, dass die veganen Angebote in angemessenem Umfang dazu beitragen, den Nährstoffbedarf der Kinder zu decken, unabhängig davon, ob sie sich vollkommen vegan ernähren oder nicht. Für die Erstellung des DGE-Standards wurden bereits die notwendigen Nährstoffgehalte für die einzelnen Mahlzeiten berechnet. Aufgrund der geringeren Bioverfügbarkeit mancher potenziell kritischer Nährstoffe bei veganer Ernährung können die Gehalte teilweise etwas höher angesetzt werden und Lebensmittelkombinationen beachtet werden. Danach können vegane Speisepläne erstellt werden.
Attraktive vegane Mahlzeiten für Kinder können vegane Burger, Lasagne oder Pizza mit bunten Salaten und Gemüse sein. Werden diese aus Hülsenfrüchten oder Tofu hergestellt, so sind sie gute Proteinquellen und enthalten weitere gesundheitsförderliche Zutaten bzw. Nährstoffe.
Zudem sollte das vegane Angebot keine „Sonderstellung“ einnehmen, sondern als gleichwertige Alternative zu den anderen Menüs dargestellt sein.
Was kannst du tun, um vegane Schulverpflegung zu verbreiten?
Die Schule bietet (noch) kein veganes Essen an? Dann kannst du Anstöße geben, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Denn oft haben Schulen die vegane Schulverpflegung gar nicht auf dem Schirm.
Unsere Tipps für dich:
- Tausche dich mit anderen Eltern aus, ob sie auch vegane Alternativen wünschen bzw. diesen gegenüber offen sind.
- Sprich mit der Schulleitung darüber, dass du und dein Kind eine vegane Alternative benötigen.
- Rege am Elternabend an, vegane Mahlzeiten zu integrieren.
- Bringe konkrete Ideen zur Umsetzung mit bzw. Informationen zur veganen Kinderernährung.
- Kontaktiere den Caterer der Schule oder suche nach alternativen Anbietern mit veganen Angeboten.
- Unterstütze Projekte, die sich für eine vegane Schulverpflegung einsetzen.
Deine Schule weigert sich aktuell, vegane Speisen anzubieten? Du hast das Recht, deinem Kind eigene Speisen mitzugeben. Streng genommen sollte die Schule eine Mikrowelle zum Erhitzen zur Verfügung stellen. Greife auf unsere veganen Kinderrezepte zurück, um dein Kind mit leckerem Essen und Nährstoffen zu versorgen. Vielleicht werden die Mitschüler so neidisch darauf, dass sie bald auch eine vegane Schulverpflegung fordern 😉
Fazit
Aktuell ist die vegane Schulverpflegung nicht weit verbreitet. Eltern von veganen Kindern bleibt meist nichts anderes übrig, als selbst Zubereitetes mitzugeben oder auf vegane Fertiggerichte zurückzugreifen. Beides meist keine zufriedenstellenden Lösungen.
Insgesamt fehlt es bei Schulen, Essensanbietern und Eltern an Wissen, dass und wie vegane Kinderernährung gesund sein kann. Vielfach ist gar nicht bekannt, dass es einen Bedarf an veganer Schulverpflegung gibt.
Die DGE kann im Rahmen ihrer Qualitätsstandards Einfluss auf das Verpflegungsangebot in Schulen nehmen. Doch aktuell wird darin nur ein ovo-lakto-vegetarisches Angebot vorgeschrieben, vegane Optionen sind nicht gegeben.
Eine Gruppe veganer Eltern aus Berlin möchte das nicht länger hinnehmen und hat sich unter dem Motto „Mehr Pflanzenkraft für Schulen!“ an führende Vertretende der DGE gewandt. Insbesondere geht es ihnen um die Mittagsessenssituation in Grundschulen und die Essensbereitstellung durch Caterer. Ihr Ziel sind Anpassungen im DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen, durch die eine durchgängige vegane Versorgung in der schulischen Gemeinschaftsverpflegung ermöglicht, aber auch eine bessere Grundlage für eine generell noch stärker pflanzenbetonte und damit klima-, menschen- und tierfreundlichere sowie inklusivere Schulverpflegung geschaffen wird.
Der gesamte Text, der in Kopie an eine Reihe von Vertretenden großer Organisationen (wie ProVeg, Greenpeace und Parents for Future) sowie maßgebliche Einzelpersonen wie Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Dr. Markus Keller gesendet wurde, ist hier abrufbar. Er enthält auch weitere wissenswerte Informationen zur aktuellen Schulessenssituation und ist allein deshalb eine Lektüre wert.
Stand Juni 2022: Die Antwort der DGE, die hier bereitsteht, macht Hoffnung, dass bei der Aktualisierung des Standards für die Schulverpflegung und der anderen DGE-Qualitätsstandards, die voraussichtlich im nächsten Jahr erfolgt, noch stärker auf Pflanzenkraft gesetzt wird. Darauf drängt die Eltern-Initiative in ihrer Antwort an die DGE erneut, die du hier abrufen kannst.
Zu der hier bereits erwähnten Problematik in Berlin, die im ersten Schreiben der Initiative an die DGE ausführlich beschrieben wird, haben die Initiatorinnen ein gesondertes Schreiben an die Berliner Verantwortlichen gesendet. Es steht samt allen anderen relevanten Informationen hier bereit.
Martin Kaak-Wingeyer meint
Hallo,
danke für den Artikel „Vegane Schulverpflegung: Kein Essen für vegane Kinder?“ Auch mit dem Verweis auf die Elterninitiative in Berlin. Für mich als gelernter Koch und Ausbilder auch sehr interessant, wie Ausschreibungen in Berlin auf den Weg gebracht werden und was für eine Macht an der Stelle die DGE hat. Die Antwort der DGE war dabei schon fast so abzusehen. Aber über die Jahre hat sich das Verhältnis zur pflanzenbasierender Kost mit kleinen Schritten verbessert, es besteht also Hoffnung.
Ich merke in der Gemeinschaftsverpflegung und Gastro/Hotellerie auch immer noch die Denkblockaden was das Wissen über Vegane Ernährung angeht. Leider gibt es auch für uns „Profis“ nur eingeschränkte Möglichkeiten uns den Thema fachlich zu nähern. So habe ich mich entschieden, mich dem Thema mit Hintergrund Wissen(Ausbildung zum Ernährungsberater) zu nähern und das „praktisch Fachliche“ im Eigenstudium und durch praktisches Umsetzen in meiner Küche und mit anderen „Profis“ im Netzwerk zu vervollständigen.
Ich hätte mir in der Ausbildung zum Ernährungsberater gerne Aspekte für die Profiküche bzw. für die Speiseplan/-karten -Gestaltung gewünscht . Mein Feld wird nicht die klassische Ernährungsberatung sein, sondern die Köche, die Azubis, die Küchenleiter, die Inhaber von Restaurants, die Caterer ect. Ich will Veränderung auf breiter Front und die können wir nur über die Profiküchen erreichen.
Für die Zukunft würde ich mich freuen wenn Ihr fakultativ ein Angebot(Kapitel) erarbeiten könntet was sich an die Gemeinschaftsverpflegung, die Restaurants und die Hotellerie richtet. Und was für diese Branche der Außerhaus Verpflegung relevant ist.
In der Beschreibung des Studiengangs war dies ja eines der möglichen Tätigkeitsfelder für die Zukunft. Ich denke bei Eurer soliden und faktenbasierenden Ausbildung werdet Ihr auch immer mehr veränderungswillige Köche unter euren Kunden haben.
Ich habe fachliche, technische und Führungserfahrung in allen drei Bereichen und bin gern bereit, meine Unterstützung für das Thema anzubieten, sofern das Interesse in Zukunft bestehen sollte.
Macht weiter so. Vielen Dank
Liebe Grüße Martin
Isabel Bernhauser meint
Hallo lieber Martin,
herzlichen Dank für deinen schönen, ausführlichen Kommentar und deine wertvolle Anregung. 🙂
Unsere Fernstudiengänge werden laufend überarbeitet, aktualisiert und erweitert. Wir sind für jegliche Wünsche und Anregungen offen. Erweiterungen der Lehrmaterialien sind jedoch gleichzeitig an eine gewisse Häufigkeit von Wünschen sowie deren Relevanz gekoppelt. Da dein Thema bislang nur einmalig aufkam und dieses Wissen für einen Ernährungsberater nicht obligatorisch notwendig ist, wird dies aktuell (noch) nicht in die Materialien eingearbeitet. Wir behalten es jedoch im Hinterkopf. 🙂
Herzliche Grüße
Isabel