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Vegane Probiotika werden für eine Reihe von kleineren oder größeren Beschwerden beworben: Firmen und zugehörige Influencer halten Kapseln oder Pulver lächelnd in die Kamera und versprechen sie als Lösung für die (vermeintlichen) Probleme. Ein flacher Bauch, regelmäßiger Stuhlgang und allgemeines Wohlbefinden sollen durch die Einnahme von veganen Probiotika zur Gewohnheit werden.
Wer gefühlt „alles versucht“ hat, sich „gesund“ ernährt, oder einfach keine Lust hat, sich mit der eigenen Ernährung genauer auseinanderzusetzen und auf der Suche nach einer schnellen Lösung ist, um Darmprobleme zu beheben, dem erscheint die Einnahme eines Präparats als verheißungsvolle Lösung. Erfahre hier, was vegane Probiotika wirklich können, worauf du achten solltest und wie es ohne Pulver und Kapseln geht.
Pro-, Prä-, Post-, Synbiotika: Wichtige Unterscheidung
Die meisten sprechen über Probiotika, wenn es darum geht, die Darmgesundheit zu unterstützen. Doch damit die Verdauung läuft, spielen auch andere Stoffgruppen eine Rolle (Huber et al., 2021; Ji et al., 2023; Jung und Kim, 2022; Sommer et al., 2019):
- Probiotika: lebende Mikroorganismen, die ab einer bestimmten Menge die intestinale Mikrobiota beeinflussen und sich dadurch positiv auf den gesamten Organismus auswirken können
- Präbiotika: nicht-lebende, natürliche Bestandteile der Nahrung, die der Körper nicht durch körpereigene Enzyme verdauen kann und die als „Futter“ für nützliche Bakterien gelten
- Postbiotika: Wirkstoffe, die natürlicherweise bei Stoffwechselprozessen im Darm entstehen und zur Darmgesundheit beitragen, wie beispielsweise kurzkettige Fettsäuren (engl.: short-chain fatty acids, SCFA)
- Synbiotika: Nahrungsergänzungsmittel, die eine Kombination aus Probiotika und Präbiotika enthalten
Diese Mikroorganismen – Bakterien – werden nicht nur über Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen, sondern können auch in Lebensmitteln vorkommen. In Tabelle 1 findest du eine Übersicht, welche Stämme zu den oben genannten Gruppen gehören und in welchen Lebensmitteln sie vorkommen können.
Tabelle 1: Probiotika, Präbiotika und Postbiotika – Beispiele und Vorkommen.
Probiotika |
Präbiotika |
Postbiotika |
|
Beispiele | Bifidobakterien Laktobazillen Enterokokken Streptokokken |
Inulin Oligofruktose Pektin |
SCFAs, z. B. Propionsäure, Butyrat funktionelle Proteine |
Vorkommen in Lebensmitteln | Kimchi Kombucha probiotische Milchprodukte (z. B. Kefir, Joghurt) pflanzliche Alternativen |
Chicorée Schwarzwurzeln Spargel Lauch Zwiebeln Obst (Pektin) Kartoffeln Getreide (resistente Stärke) |
enthalten in Produkten mit fermentierten Inhaltsstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln |
Warum man trotzdem Kimchi, Sauerkraut und Co nicht als Probiotika bezeichnen kann? Das erfährst du gleich. Doch zuerst erhältst du Informationen zur Wirkung der kleinen Organismen.
Wirkung über Stoffwechselprodukte
Die lebenden Bakterien gelangen in den Darm und siedeln sich dort an. Doch isoliert Probiotika einwerfen reicht nicht, denn sie müssen auch gefüttert werden – durch die bekannten Präbiotika. Dann bilden sie durch Fermentation Stoffwechselprodukte, die direkt auf die Darm- und Immunzellen wirken. Diese Stoffwechselprodukte sind sogenannte kurzkettige Fettsäuren, auf englisch „short-chain fatty acids“ (SCFA). Dadurch können Probiotika folgende Wirkungen entfalten:
- die Darmbarriere stärken
- für ein besseres Darmmilieu sorgen
- das Wachstum ungünstiger Bakterien hemmen
- die Immunfunktion modulieren
(Müller, 2023).
Wichtig: Nicht jeder Mikroorganismus macht das gleiche, die Wirkung hängt vom Stamm sowie der Menge und individuellen Faktoren ab (Ji et al., 2023; Wagner und Groeneveld, 2022). Deswegen bringt es nichts, einfach irgendwelche Bakterienstämme in beliebiger Menge zuzuführen, wenn ein spezifisches Problem vorliegt – und erst recht nicht, wenn es noch gar keine Beschwerden gibt. Auch sind Blähungen, Magenschmerzen und ähnliches nicht unbedingt auf Probleme mit der Darmmikrobiota zurückzuführen, sondern können eine normale Reaktion des Körpers, Folge von hohen Ballaststoff- oder Lebensmittelmengen, ungewohnten oder unverträglichen Lebensmitteln sein und bedürfen entweder keiner oder anderer Behandlung.
Probiotische Nahrungsergänzungsmittel
Immer mehr Anbieter bringen Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, die damit werben, Probiotika zu enthalten und/oder positiv auf die Darmgesundheit zu wirken. Innerhalb von fünf Jahren stieg der Umsatz von Probiotika für den Verdauungstrakt, die über Apotheken vertrieben werden, im Durchschnitt um 15 % (Röchter et al., 2020). Doch die wissenschaftliche Lage sieht anders aus, als sie es oft versprechen.
Keine Wunderpillen
Damit probiotische Nahrungsergänzungsmittel potentiell Wirkung zeigen können, müssen sie
- in ausreichender Anzahl im Produkt vorhanden sein
- in ausreichender Anzahl lebend in den Darm gelangen
- die passenden Stämme enthalten
- sich im Darm ansiedeln können
- im Darm vorher unzureichend vorhanden gewesen sein.
Kritisch an den Produkten zu sehen ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt nur für wenige Stämme und spezifische Beschwerden Wirkungen in klinischen Studien nachgewiesen werden konnten. Ob und wie die Substanzen wirken, hängt unter anderem von ihrer Dosis und ihren Eigenschaften ab. Zudem wirken Pro- und Präbiotika nicht bei jedem Menschen gleich gut. Ein Grund dafür ist, dass der Darm jedes Menschen ein individuelles Bakterienmuster aufweist, welches auch Schwankungen unterliegt. Ein für dich vorteilhaftes Mikrobiom ist anders zusammengesetzt als das von deinem besten Freund. Im Feld Mikrobiom und damit auch über die Wirkung von (veganen) Probiotika ist weiterhin einiges an Forschung notwendig, um Empfehlungen zu geben.
Vorsicht ist vor allem bei Frühgeborenen, schwer kranken oder immungeschwächten Patienten sowie bei Magen-Darm-Grippe geboten. Denn bei diesen können unerwünschte Nebenwirkungen durch die Einnahme von Probiotika auftreten.
Nachgewiesene Wirkung bei Erkrankungen
Studien deuten darauf hin, dass der gezielte Einsatz ausgewählter probiotischer Bakterienstämme oder Präbiotika positive Effekte auf bestimmte Erkrankungen haben kann, die mit einem Ungleichgewicht der Darmmikrobiota einhergehen. Sie können in der Therapie unterstützend wirken. Hier sind einige Beispiele, bei denen eine Wirksamkeit beobachtet wurde (Andresen et al., 2022; Layer et al., 2021; Wagner und Groeneveld, 2022):
- Reizdarmsyndrom: Der Einsatz bestimmter Probiotika kann die Symptome lindern.
- Colitis ulcerosa: In der Remissionsphase können ausgewählte Prä- und Probiotika unterstützend wirken.
- Funktionelle chronische Verstopfung: Bestimmte Probiotika, Präbiotika und Synbiotika könnten die Stuhlfrequenz, -konsistenz und die Passagezeit im Darm verbessern.
Liegt bei dir eine solche Erkrankung vor? Dann kannst du die Einnahme eines passenden Präparats erwägen. Besprich die Einnahme aber unbedingt mit deinem Arzt. Präventiv sollten die Produkte nicht eingenommen werden. Es gibt keine Belege, dass sie beispielsweise der Entstehung eines Reizdarmsyndroms vorbeugen können.
Kritik an veganen Probiotika
Es gibt zahlreiche vegane Probiotika auf dem deutschen Markt und die Zahl wächst. Allerdings sind Wirkungen meist nicht belegt. Lass dich nicht von der Auflistung zahlreicher spannend klingender Stämme und Angabe großer Zahlen blenden! Sie garantieren keine besonders gute Wirkung oder überhaupt eine Wirkung.
Folgende Aspekte sind problematisch, wenn du auf der Suche nach guten veganen Probiotika bist:
- Es wird nicht genau beschrieben, gegen welche Beschwerde das Produkt wirken soll. Meist werden allgemeine Versprechungen gegeben.
- Es gibt keine klinischen Studien, die eine Wirkung für dieses Produkt, die enthaltenen Bakterien und die Mengen nachweisen.
- Es sind nicht die passenden Bakterienstämme enthalten.
- Die enthaltenen Mengen sind nicht ausreichend, um eine Wirkung zu erzielen.
- Die Bakterien sind im Produkt nicht stabil und bis zum Haltbarkeitsdatum sinkt die enthaltene Menge.
- Das Produkt ist nicht vegan. Nährmittel, Kapsel und Zusatzstoffe können tierischen Ursprungs sein.
- Vor allem Produkte, die als Pulver zu Getränken angerührt werden, können auch Kalorien liefern, was in die Tagesbilanz miteinbezogen werden muss.
- Es können Vitamine, Mineralstoffe oder Pflanzenextrakte enthalten sein. Bei Einnahme weiterer Nahrungsergänzungsmittel kann das zu Überdosierungen führen oder es können andere unerwünschte Wirkungen, beispielsweise durch Allergien, Vorliegen von Erkrankungen oder Wechselwirkungen mit Medikamenten auftreten.
Gut ernähren: Die Alternative zu veganen Probiotika
Pillen und Pulver helfen also den meisten nicht wirklich gegen Verdauungsprobleme. Klingt enttäuschend? Auf den ersten Blick vielleicht, doch die gute Nachricht: Es geht viel günstiger und mit mehr Spaß! Der Schlüssel liegt in der Ernährung. Denn eine pflanzenbasierte Ernährung wird mit einer für die Gesundheit günstigen Darmmikrobiota verbunden (Wagner und Groeneveld, 2022).
Wie du oben gesehen hast, enthalten einige vegane Lebensmittel probiotische Bakterien sowie präbiotisch wirksame Substanzen. Jetzt kommen wir zur Auflösung, warum sie nicht als „probiotisch“ bezeichnet werden dürfen. Diese Bezeichnung ist laut europäischem Recht nur Produkten vorbehalten, in denen eine definierte Menge bekannter Stämme enthalten ist, die in Interventions- oder klinischen Studien eine nachgewiesene Wirkung zeigten (Wagner und Groeneveld, 2022). Das ist bei Naturprodukten wie Sauerkraut und Co in der Regel nicht der Fall, da die genauen Bakterien und deren Menge darin nicht bekannt sind. Auch erreichen sie oft nicht in ausreichender Zeit und lebend den Darm und durch Erhitzen sowie längere Lagerung reduziert sich die Zahl der enthaltenen Bakterien. Für eine probiotische Wirkung müssten die Lebensmittel regelmäßig und in ausreichender Menge verzehrt werden und auch dann ist nicht bei allen Personen eine Wirkung garantiert (Dimidi et al., 2019; Marco et al., 2021).
Vorteile veganer Lebensmittel für die Verdauung
Aber ob die Lebensmittel nun probiotisch wirken oder nicht – pflanzliche Lebensmittel bringen zahlreiche für die Darmgesundheit vorteilhafte Inhaltsstoffe mit sich, darunter
- Ballaststoffe (Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Obst, Gemüse)
- Fermentationprodukte (beispielsweise in Kimchi, Miso, Tempeh, Kombucha)
- Polyphenole (unter anderem in buntem Obst, Gemüse, Karotten).
Wichtig dabei ist es, die individuelle Verträglichkeit zu beachten. Denn während einige Personen große Mengen von Ballaststoffen und fermentierten Lebensmitteln abkönnen, kann dies bei anderen Probleme hervorrufen und eine (vorübergehende) Reduktion Erleichterung bringen. Die Reaktion auf bestimmte Lebensmittel(mengen) kann individuell unterschiedlich ausfallen. Integriere diese Lebensmittel also in verschiedenen Mengen, probiere folgende Tipps aus und schaue, ob sie Erleichterung bringen.
Weitere Verdauungstipps
- Fettarme und schonend zubereitete Speisen sind für die meisten besser bekömmlich als fettiges, stark gewürztes Essen.
- Hülsenfrüchte länger einweichen und verträgliche Sorten (meist gelbe oder rote Linsen) bevorzugen.
- Gewürze wie Fenchel, Anis und Kümmel können die Bekömmlichkeit erhöhen.
- Alkohol vermeiden. Neben zahlreichen weiteren gesundheitsbeeinträchtigenden Wirkungen werden sie auch mit Mikroorganismen in Verbindung gebracht, die mit Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2 assoziiert sind (Wagner und Groeneveld, 2022a).
- Lebensmittelhygiene beachten, um den Darm vor krankmachenden Bakterien zu schützen.
- Bewusstes Essen und Bewegung können den Darm entlasten, die Verdauung in Schwung bringen und die Nährstoffaufnahme erhöhen.
Vegane Probiotika sind kein Muss!
Die aktuell erhältlichen veganen Probiotika können ihre Versprechen auf einfache Abhilfe leider nicht halten: Denn die Zusammensetzungen sind eher willkürlich, da es einfach noch nicht genug Forschung zu wirksamen Stämmen und Zahlen gibt. Wissenschaftlich nachgewiesen ist aber, dass das Mikrobiom von jedem individuell aussieht und reagiert und bestimmte Stämme unterschiedliche Wirkungen haben. Positive Erfahrungen sind eher auf Placeboeffekte, weitere Inhaltsstoffe der Produkte oder eine damit einhergehende Ernährungsumstellung zurückzuführen. In Zukunft sind weitere klinische Studien notwendig, um die Wirksamkeit und den therapeutischen Einsatz bei verschiedenen Krankheiten zu belegen und konkrete Empfehlungen aussprechen zu können. Erste Wahl bei Verdauungsproblemen sollten daher nicht vegane Probiotika sein, sondern eine ausgewogene pflanzenbasierte Ernährung, die individuelle Verträglichkeiten beachtet.
Als „probiotische Lebensmittel“ bekannte Produkte wie Sauerkraut, Kimchi und Co. sind weniger wegen ihrer vermeintlich probiotischen Wirkung empfehlenswert, sondern aufgrund weiterer gesundheitsförderlicher Inhaltsstoffe. In Obst, Kartoffeln und Co. enthaltene Präbiotika unterstützen die Verdauung.
Liegen langfristig starke Verdauungsprobleme vor, ist es wichtig, die Ursache für die Beschwerden zu finden. Hausarzt und Gastroenterologe sollten die erste Anlaufstelle sein, gefolgt von einer gezielten und fundierten Ernährungsberatung, sofern Ursache und Beschwerden durch Ernährung beeinflusst werden können.
Wer einfach Probiotika-Präparate einnimmt und auf Besserung hofft, riskiert, dass ernste Erkrankungen nicht erkannt, Beschwerden verschlimmert oder bestenfalls nur der Geldbeutel unnötig geleert wird.
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