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Am 23.08.2017 wurde eine Langzeitstudie online (Journal of Clinical Oncology) publiziert, in welcher ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten Lungenkrebsrisiko und einer langjährigen, hochdosierten Einnahme von Vitamin-B-Supplementen auftrat. Von diesem kanzerogenen Potenzial waren insbesondere Männer betroffen. Aufgrund des öffentlichen Diskurses haben wir die Studie genauer unter die Lupe genommen und wollen dazu Stellung beziehen. Für vegan lebende Personengruppen ist die Einnahme von Vitamin- B12-Präparaten unabdingbar, weshalb wir hiermit für ein wenig Klarheit sorgen möchten.
Studienaufbau und Hypothese
Die Beobachtungsstudie der Taiwan University untersuchte den Zusammenhang zwischen der langjährigen Einnahme von B-Vitamin-Supplementen und dem Lungenkrebsrisiko von 77.118 US-amerikanischen Teilnehmern im Alter von 50-76 Jahren der VITAL (Vitamins and Lifestyle)-Kohorte. Es wurden jene B-Vitamine gewählt, welche für den C1-Stoffwechselweg von Bedeutung sind; die also in einen biochemischen Mechanismus integriert sind, der mit den Aminosäuren Homocystein und Methionin interagiert und der bei einer Dysbalance die Krebsentstehung begünstigen kann. Dazu zählen Vitamin B6 (Pyridoxin/-al), Vitamin B9 (Folsäure) und Vitamin B12 (Cobalamin). Neben der Vitamineinnahme wurden weitere Parameter, wie der Body-Mass-Index, das Ernährungsverhalten (über einen Food Frequency Questionnaire ermittelt), Tabakkonsum, Bildung, Familienanamnese etc., berücksichtigt. Die erhobenen Daten basierten auf Befragungen bzw. Aufzeichnungen der Teilnehmer über die vergangenen 10 Jahre hinweg. Die durchschnittliche Einnahmedosis in diesem Zeitraum wurde als primärer Parameter herangezogen.
Die Wissenschaftler stellten aufgrund von vergangenen Studien die Hypothese auf, dass die hochdosierte Einnahme dieser ausgewählten B-Vitaminsupplemente über mehrere Jahre hinweg die Karzinogenese unterstützen kann (Kim, 2004; Ebbing et al., 2009).
Ergebnisse
- Insgesamt überschritten die Personengruppen der VITAL-Kohorte die Aufnahmeempfehlungen (Recommended Daily Allowance, RDA) des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes.
- Multivitamin- sowie Folsäurepräparate zeigten bei dauerhafter Einnahme keinen Einfluss auf das Risiko für Lungenkrebs.
- Die erhöhte Einnahme von Vitamin B6 (> 20 mg/Tag) und Vitamin B12 (> 55 µg/Tag) über einen Zeitraum von 10 Jahren indizierte ausschließlich bei Männern, überwiegend unter Rauchern, ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko. Insgesamt zeigten die Daten eine Verdoppelung des Risikos. Für Vitamin B6 ergab sich unter aktuell rauchenden Männern ein beinahe dreifach, für Vitamin B12 ein fast vierfach erhöhtes Risiko für Lungenkrebs, unter den o.g. Dosisbereichen. Bei darunter liegenden Dosierungsmengen der Präparate zeigte sich kein signifikant erhöhtes Risiko.
- Für Frauen dieser Kohorte wurde dagegen kein erhöhtes Risiko nachgewiesen (Brasky et al., 2017). Diese Tatsache deutet auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin, wahrscheinlich aufgrund des Hormonstatus; allerdings sei auch zu erwähnen, dass Lungenkarzinome deutlich häufiger bei Männern auftreten.
Vitamin B12 bei veganer Ernährung
Vitamin B12 gilt als der kritischste Nährstoff bei einer rein pflanzlichen Kost, d. h. eine Zufuhr über die Nahrung ist nicht gegeben. Untersuchungen zeigen, dass Veganer ohne Einnahme eines Cobalamin-Präparates auf lange Sicht mangelhafte Blutwerte aufweisen (Gilsing et al., 2010; Herrmann et al., 2003), was die Notwendigkeit einer Supplementierung zeigt. Ein Vitamin-B12-Mangel kann zu irreversiblen Schädigungen des Nervensystems, zu Folatmangel und Blutsynthesestörungen führen. Die DGE empfiehlt Erwachsenen 4 µg Vitamin B12 pro Tag aufzunehmen (DGE, 2018).
Empfehlungen für Veganer
Die Einnahme von Vitamin-B12-Präparaten ist für Veganer unabdinglich; somit wird auch aufgrund dieser Studie nicht davon ab-, sondern weiterhin dringend dazu geraten. Die Ergebnisse dieser einen Untersuchung legen nahe, dass insbesondere Männer von einer hohen Supplementierung, absehen sollten. Die britische Vegan Society empfiehlt eine Einnahme von 10 µg/Tag, welche als nachgewiesenermaßen sicher einzustufen ist. Nimmt man das Präparat in Tablettenform ein oder schluckt es direkt herunter, so wird bei einer solch geringen Dosis allerdings der Weg der passiven Diffusion über die Schleimhäute umgangen, da dieser Resorptionsmechanismus nur bei höheren Aufnahmemengen zum Tragen kommt. Bei einer Einnahme von 55 µg am Tag beträgt die aktive Resorptionsmenge maximal 1,5 bis 2 µg. Wird das Präparat in flüssiger Form oder sublingual aufgenommen, so kommt die passive Diffusion zum Tragen, die Resorptionsrate liegt dann bei etwa 1 %. Das entspräche 0,55 µg und liegt weit vom Mindestbedarf (1 µg) und noch weiter von der mit Sicherheitszuschlag ausgegebenen Empfehlung (4 µg) entfernt (DGE, 2018). Die Einnahme von Protonenpumpenhemmern stört zudem die Synthese des Intrinsic-Factors, dem Vitamin-B12-Shuttle für die aktive Resorption – die Aufnahmerate nimmt ab (O’Leary und Samman, 2010).
In weiteren Humanstudien konnte bislang kein vergleichbarer Effekt bei gesunden Menschen gezeigt werden; allerdings waren diese Untersuchungen auf einen kürzeren Zeitraum ausgelegt (EFSA, 2006). Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stellt fest, dass „eine orale und parenterale Supplementierung mit Dosierungen zwischen 1 und 5 mg (!) Vitamin B12 alle zwei Wochen oder monatlich über einen längeren Zeitraum, bis mindestens 5 Jahre, in Patienten mit beeinträchtigter Vitamin-B12-Absorption keine erkennbaren Nebenwirkungen aufweist“* (EFSA, 2006).
Im Jahr 2019 veröffentlichten Wissenschaftler eine Arbeit, in welcher sie die Vitamin-B12-Serumwerte von Personen mehrerer Kohorten im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie untersuchten und dabei auch eine sogenannte Mendelsche Randomisierung vornahmen. Mithilfe dieser Methode kann man Rückschlüsse darüber schließen, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Risikofaktor und einer Erkrankung besteht. In diesem Fall stellten die Forscher fest, dass hohe Vitamin-B12-Werte das Risiko, an Lungenkrebs zu erkrankten, erhöhten (Fanidi et al., 2019). Inwiefern die Ergebnisse auf die Allgemeinheit übertragbar sind, ist unklar. Zudem ist nicht bekannt, woher die hohen Serumwerte ruhen. Das heißt, der Rückschluss, dass eine hohe Zufuhr von Vitamin B12 über Supplemente das Lungenkrebsrisiko erhöht, ist aus dieser Studie nicht möglich. Außerdem anzumerken: Für die Bestimmung der Vitamin-B12-Versorgung ist der Holo-TC-Wert aussagekräftiger als die Serumwerte. In den vorliegenden Untersuchungen wurde jedoch der Serumwert mit Lungenkrebs in Verbindung gebracht. Wenn du also deinen Status anhand des Holo-TC-Wertes überprüfst, kann darauf nach aktuellem Wissensstand nicht auf das Lungenkrebsrisiko geschlossen werden.
Fazit: Vitamin-B12-Supplemente in der veganen Ernährung
Abschließend kann gesagt werden, dass Vitamin B12 bei einer veganen Ernährung unbedingt supplementiert werden muss. Andernfalls kommt es früher oder später zu einem Mangel an diesem Nährstoff, was mit gravierenden Gesundheitsschäden einhergeht.
Die Ergebnisse von Brasky et al. und der weiteren vorhandenen Literatur dürfen darauf sensibilisieren, bewusst mit Supplementen umzugehen, liefern aber keine Belege dafür, dass die Einnahme von Vitamin-B12-Nahrungsergänzungsmitteln gesundheitsschädlich sein kann. Letztlich ist anzuraten, den Vitamin B12-Blutwert (Holo-TC) bedacht im Auge zu behalten und dahingehend mit Ergänzungspräparaten zu substituieren, d. h. praktisch:
Erreicht man mit niedrigeren Dosierungen adäquate Blutwerte, muss nicht unnötig mit hochkonzentrierten Vitamin B12-Supplementen substituiert werden.
*29.06.2018 – vorgenommene Änderung im Text: Zitat des genauen Wortlautes lt. EFSA (2006)
Isabel Schaper meint
Vielen Dank für diese wichtigen Informationen und überhaupt, dass Ihr uns mit solchen schnellen Stellungnahmen und Aufklärungen immer auf dem Laufenden haltet ?? LG Isabel
Dominik Grimm meint
Hallo liebe Isabel, bitte sehr gerne 🙂 LG, Dominik
Jürgen meint
Auch von mir Danke für die Info!
Bezüglich der Dosierung stellt sich mir noch die Frage, wurde bei dem angegebenen Wert >55 µg/Tag, bereits eine Resorptionsrate berücksichtigt oder bezieht sich die Angabe auf die tatsächliche Menge?
Nochmals danke + Gruß Jürgen
Dominik Grimm meint
Hallo lieber Jürgen, die bezieht sich auf die Konzentration der eingenommenen Präparate, also auf die täglich alimentäre Zufuhr. LG, Dominik
Alexandra Hünnekens meint
Hallo liebes Ecodemy-Team, herzlichen Dank für diesen informativen Artikel! Leider werde ich nirgends fündig, wenn ich nach Vitamin B12 Tropfen suche, die eben nicht so hoch dosiert sind. Könnt ihr mir weiterhelfen? Wo finde ich geeignete Vitamin B12 Tropfen für meinen Freund und mich? LG 🙂
Dominik Grimm meint
Hallo liebe Alexandra, Vitamin B12-Tropfen kannst du dir in den meisten Apotheken einfach nach Rezeptur bestellen.
Für 10 mL Vitamin B12-Tropfen, bei der 1 Tropfen ca. 50 µg Vitamin B12 enthält sieht die Rezeptur so aus:
– 9,2 g Wasser
– 10 mg Methyl-/Cyanocobalamin
– 20 mg Kaliumsobat (Konservierungsstoff)
– 2 mg Sorbinsäure (Konservierungsstoff)
Liebe Grüße, Dominik
Carina Simon meint
Vielen Dank für diese Rezeptur, Dominik.
Vielleicht habe ich einen Denkfehler, aber wenn die empfohlene Tagesdosis bei 3µg, bzw. die empfohlene Tageshöchstdosis bei 9µg liegt, sind dann die 50µg pro Tropfen nicht ein bisschen viel?
Wie sollen diese Tropfen eingenommen werden? Oder habe ich etwas falsch verstanden?
Lieben Gruß, Carina
Isabel Bernhauser meint
Hallo liebe Carina,
dankeschön für deinen Kommentar.
Bis zu dem Zeitpunkt, als die Studie von Brasky et al. (2017) publiziert wurde, gab es bislang noch keine Hinweise darauf, dass höher dosierte Vitamin B12-Supplemente zu nachteiligen Effekten im Menschen führen können; schließlich handelt es sich dabei um ein wasserlösliches Vitamin. Die Studie weist darauf hin, dass insbesondere bei männlichen Rauchern bei einer langfristigen Einnahme (> 55µg/Tag) von Vitamin B12-Supplementen das Auftreten von Lungenkrebs ansteigt. B12-Supplemente sollten von jedem mit einem gewissen Maß an Sensibilität für die eigene Gesundheit zielgerichtet eingesetzt werden, d.h. an den eigenen Blutwert angepasst. Demnach muss man nicht direkt auf höher dosierte Präparate verzichten, insbesondere nicht, wenn dein Blutwert im unteren Referenzbereich liegt. Mit einer Einnahme von 1-3x pro Woche würdest du im grünen Bereich liegen.
Ganz herzliche Grüße und alles Liebe,
Isabel!
Anne meint
Hallo und danke für die Stellungnahme! Hier noch ein Link zu einem Video von Lars von Rohe Energie – er hat sich auch sehr genau mit der Studie befasst und hat erstaunliche Sachen herausgefunden, finde ich: https://www.youtube.com/watch?v=KsdmB5RDxEw LG Anne
Annette meint
Ja finde ich auch! Auf jeden Fall wichtig zu wissen. Trotzdem bin ich leicht verunsichert. Wieviel soll man nun nehmen? Bei den
Präparaten die man kauft steht immer zB 1 Tablette am Tag egal ob die 30, 100 oder 1200 Mikrogramm enthält!! Was empfehlt ihr?
Dominik Grimm meint
Hallo liebe Annette, abhängig vom Status und der individuellen Bioverfügbarkeit sowie der Einnahme von resorptionshemmenden Arzneimitteln wie Protonenpumpenhemmern: So viel wie nötig und so wenig wie möglich. Dass auf aktuell sämtlichen Präparaten „einmal am Tag“ steht, ist auch nicht verwunderlich: Bis dato galt – auch laut EFSA, die wir genau deswegen zitiert haben – Vitamin B12 als wasserlösliches Vitamin praktisch nicht überdosierbar. Aufgrund der möglichen Problematik bzgl. des intrinsic factors, der geringen Resorptionsrate über die Schleimhäute (ca. 1 %), ist diese hohe Dosis in vielen, individuellen Fällen sogar notwendig.
Diese Studie sollte auch bitte nicht falsch verstanden werden: Wir haben absichtlich die EFSA zitiert, die zu einem anderen Ergebnis kommt, obgleich der Zeitraum ein geringerer war. Solche Ergebnisse müssen erst einmal repliziert werden. Dennoch dürfen wir diese Studie als Indiz dafür sehen, dass eine geringere Konzentration sicherer ist. Hier geht es lediglich um Risikoreduktion, um nichts mehr.
Eine Rezeptur für Vitamin B12-Tropfen habe ich in einem anderen Kommentar gepostet 🙂
LG, Dominik
Heike Brandt meint
Toll, dass ihr so schnell Stellung bezieht, zu einem so brisanten Thema. Der richtige Umgang mit Supplementen ist leider nicht so populär und sollte viel mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden
Norbert Pfeiffer meint
Ich nehme jeden Tag eine VGANTOLETTEN 1000IE ist das nicht gut? Viele Grüße aus Hameln.?
Dominik Grimm meint
Hallo lieber Norbert, die von dir beschriebenen Tabletten enthalten 25 µg Colecalciferol also Vitamin D; in diesem Artikel handelt es sich jedoch um Vitamin B12, das ist ein anderer Stoff. 🙂 LG, Dominik
Sigrid meint
Danke für eure Stellungnahme zu dem Thema.
Weiß jemand, ob auch der Wirkstoff (Methylcobalamin, Hydroxocobalamin, Adenosylcobalamin oder Cyanocobalamin) oder die Form (Tabletten, Tropfen, Kapseln, Injektionen) irgendwelche Auswirkungen auf die Ergebnisse hatten oder überhaupt erwähnt wurden. Muss auf Grund von Antikörpern gegen Parietalzellen B12 in Form von Injektionen bekommen. Daher interessiert mich das gerade persönlich.
Dominik Grimm meint
Hallo liebe Sigrid, zur Art des Cobalamins macht die Publikation leider keine Angabe, es wird nur generell von Vitamin B12 gesprochen, ebenso wenig wie zur Darreichungsform.