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„Woran erkennt man einen Veganer? Er wird es dir auf die Nase binden.“ Dieser Gag ist so alt wie falsch. Denn auch wenn der eine oder andere Neu-Veganer mit frisch entdecktem Sendungsbewusstsein über’s Ziel hinausschießt, so sieht die Realität abseits des gängigen Klischees in der Regel anders aus. Meist ist es nicht „der Veganer“, welcher mit missionarischem Eifer jedes gemütliche Beisammensein sprengt, eher das Gegenteil ist der Fall. Wer sich pflanzenbasiert ernährt, wünscht sich oft, sein veganer Lebensstil wäre nicht ständig das Top-Thema der Gespräche. Geht es dann noch um sensible Lebensphasen wie beispielsweise die Schwangerschaft oder den vegan verköstigten Nachwuchs, werden aus Freunden und Familie – zumindest in puncto Ernährung – oft erbitterte Feinde und jedes Zusammenkommen entwickelt sich für die (werdende) vegane Mutter zur nervlichen Belastungsprobe.
Stress tut niemandem gut
Erst recht nicht einer werdenden Mutter oder einer jungen Familie, die mit dem Nachwuchs sowieso schon alle Hände voll zu tun hat. Wie aber geht man damit um, wenn Opa dem Kleinen unbedingt ein Würstchen kaufen möchte? Die beste Freundin jedes kleine Unwohlsein während deiner Schwangerschaft auf deine vegane Ernährung schiebt? Die Schwiegermutter dir gar Gefährdung des Kindeswohls vorwirft?
Ich meine es doch nur gut
Wenn du diesen Satz kennst, hast du ihn wahrscheinlich schon so oft gehört, dass du am liebsten schreiend wegrennen möchtest. Wie wäre es, wenn du an dieser Stelle einen Schritt zurücktreten und diese Aussage objektiv betrachten würdest? Ja, es nervt und du kannst es nicht mehr hören, aber sobald du deinem Gegenüber einfach mal unterstellst, dass er dich nicht traktieren möchte, sondern tatsächlich in bester Absicht handelt, kannst du sehr viel entspannter damit umgehen. Wenn du gleichzeitig auch dir selbst gegenüber eine positive Haltung einnimmst, begibst du dich in die von der Transaktionsanalyse als „Ich bin okay, du bist okay“ bezeichnete Haltung (von Eric Berne). Anders ausgedrückt: Auch wenn dich das Verhalten eines Menschen stresst oder nervt, kannst du dir bewusst machen, dass du den Menschen an sich durchaus magst und schätzt. Damit wirst du die Situation schon als weniger stressig empfinden.
Ein halbherziges Ja belastet
Zur pflanzenbasierten Ernährung hast du bereits Ja gesagt und das voller Überzeugung. Dem gegenüber steht zwangsläufig ein klares Nein zu allem, was deiner Überzeugung widerspricht. Doch mit dem Nein ist das so eine Sache. Man möchte andere nicht vor den Kopf stoßen, verletzen oder auch selbst nicht verletzt werden: Riskiert man doch mit einem Nein, dass das Gegenüber seinerseits mit Rückzug oder Ablehnung reagiert. Ein vermeintlicher Frieden ist mit einem unaufrichtigen Ja allerdings nicht nur teuer erkauft, sondern auch brüchig. Hinzu kommt: Ein halbherziges Ja ist auch immer ein Stück Nein zu dir selbst – und Selbstfürsorge sollte für eine (werdende) Mutter hohe Priorität haben. Grenzen zu setzen ist also aus vielerlei Gründen wichtig, braucht etwas Mut und kann trainiert werden!
Du hast ein ungutes Gefühl oder gar ein schlechtes Gewissen, wenn du ein Nein aussprichst? Mache dir regelmäßig bewusst, dass ein Nein immer auch ein Ja ist – nämlich zu dir selbst, deinen Bedürfnissen und deinen Werten.
Hat man dir als Kind beigebracht, dass …
- du egoistisch bist?
- die Bedürfnisse anderer Vorrang vor deinen eigenen haben sollten?
- es unhöflich ist, einem Wunsch oder eine Bitte nicht nachzukommen?
- du dich nicht so wichtig nehmen sollst?
- du lieb sein sollst und streiten nicht schön ist?
Dann steht dir vielleicht ein alter Glaubenssatz im Weg. Heute, als erwachsener Mensch, kannst du diese Überzeugungen aus deiner Kindheit mit einem klaren Blick betrachten und dich fragen: Ist das wirklich wahr? Du kannst dir auch Notizen zu deinen Gedanken machen und diese dann realistisch überprüfen.
Rechtzeitig aus der Konfliktspirale aussteigen
Es gab wieder schlimmen Streit wegen deiner veganen Lebensweise, du sitzt weinend zu Hause und fragst dich, wie die Situation derart eskalieren konnte. Oder deine beste Freundin kündigt dir die Freundschaft, weil sie nicht mit ansehen kann, was du dir und deinem Kind „antust“. Auch wenn die Konflikte, die du auszutragen hast, nicht ganz so drastisch ablaufen, kennst du wahrscheinlich die Momente, in denen man sich fragt, warum eine Diskussion so aus dem Ruder gelaufen ist und ob man etwas hätte anders machen können.
Konflikte entstehen nicht aus heiterem Himmel und laufen in der Regel nach einem ähnlichen Muster ab: Sie fangen klein an, nehmen dann Fahrt auf und enden im schlimmsten Fall mit „Ab heute gehen wir getrennte Wege!“ Manchmal ist ein (vorläufiger) Beziehungsabbruch tatsächlich das Mittel der Wahl. Doch meist muss es nicht so weit kommen. Wenn man sich bewusst macht, wie Konflikte funktionieren bzw. was sie zum Eskalieren bringt, lässt sich gegensteuern – vorausgesetzt du handelst rechtzeitig.
Seine Sorge auszusprechen ist kein Zeichen von Schwäche
Auch hier ist es wieder hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und sich anzuschauen, was gerade geschieht. Geht es noch um das Thema oder geht es nur noch um das Recht haben? Ist der angeschlagene Ton wirklich der, in dem man kommunizieren möchte? Welchen Verlauf wird die Diskussion nehmen, wenn man den erhitzen Gemütern freien Lauf lässt? Und die vielleicht wichtigste Frage: Tut es mir gut, was hier gerade passiert? Das Angebot einer Gesprächspause kann in so einer Situation hilfreich sein – und hat nichts mit „klein beigeben“ zu tun, im Gegenteil! „Wir reden uns gerade die Köpfe heiß und ich habe Angst, dass noch böse Worte fallen, die mir später leidtun. Lass uns bitte das Gespräch hier unterbrechen und wir kommen morgen wieder zusammen, wenn wir uns beruhigt haben. Ist das okay für dich?“ Ja, es braucht ein wenig Mut, um aus der Spirale auszusteigen, aber es lohnt sich!
Nicht immer geht es um die Ernährung
Manchmal ist die vegane Ernährung nur scheinbar der Grund für einen Konflikt, zum Beispiel dann, wenn es nicht um die Sache sondern um die Beziehung geht. Das beleuchtet der Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun unter anderem in seinem Vier-Seiten-Modell/Kommunikationsquadrat. Es besagt, dass jede Botschaft eine Sach-, Selbstoffenbarungs-, Beziehungs- und Appellebene hat. So kann z. B. eine auf der Sachebene gestellte Frage „Was ist denn das Grüne da in der Soße?“ beim Gegenüber auf der Beziehungsebene ankommen, was ein „Musst du an meinem Essen herummeckern?“ zur Folge haben kann. Hier kann es hilfreich sein zu schauen, wie man grundsätzlich zueinander steht. Ist das „Ohr“ mit dem man gerade hört angemessen? Mit welchem „Schnabel“ sprichst man zu welcher Person?
Worum geht es wirklich?
Auch wenn Reaktionen überraschend oder unangemessen heftig ausfallen, kann es sich lohnen genauer hineinzuspüren, was gerade passiert. Versteckt sich hinter dem Konflikt ums Essen vielleicht eine ganz andere, möglicherweise viel ältere Problematik, die nie geklärt wurde? Besonders im Eltern-Kind-Gefüge kann sich hier (alter) Sprengstoff verbergen. Sind es immer wieder deine Eltern, mit denen du wegen deines veganen Lebensstils in Konflikt gerätst? Empfindest du Kommentare deiner Mutter oder deines Vaters als besonders verletzend, während du in Debatten mit Freunden eher über den Dingen stehst? Dann kann es hilfreich sein genau zu schauen: Worum geht’s hier wirklich?
Wie sag ich’s meinem Kinde?
Als vegane Mutter (oder Vater) gilt es nicht nur Herausforderungen im Konflikt mit anderen Erwachsenen zu meistern. Spätestens wenn der Dreikäsehoch brüllend vor dem Bratwurststand liegt oder die eben noch verständige Tochter dir theatralisch erklärt, dass sie das einzige arme Kind auf der ganzen Welt ist, dass keinen Burger essen darf, ist auch beim eigenen Nachwuchs verstärkt kommunikative Kompetenz gefragt. Die gute Nachricht vorweg: Wenn dein Kind mit etwa 2 Jahren beginnt seinen eigenen Willen zu haben – und diesen dann auch durchsetzen möchte – ist das für dich sicher eine etwas anstrengende Zeit. Doch zum einen wird sie vorbeigehen und zum anderen ist sie eine wichtige Entwicklungsphase für den Nachwuchs.
Du kannst mit dieser Phase sehr viel leichter und entspannter umgehen, wenn du dir eines immer wieder vor Augen führst. Wäre dein Kind in der Lage seine Bedürfnisse verbal zu kommunizieren, würde es das sicher tun – das kann es aber einfach noch nicht. Es möchte gehört, verstanden und ernst genommen werden, und tut dies mit den Mitteln kund, die ihm in diesem Alter zur Verfügung stehen.
In der Ruhe liegt die Kraft
Ruhe bewahren, bis der Tobsuchtsanfall vorüber ist, hilft euch mehr als hartes Dagegenhalten deinerseits. Wenn du dann noch signalisierst, dass du verstehen kannst, wie frustrierend es ist, wenn man nicht bekommt, was man möchte, hilft das dir und deinem Kind. Achtung: Während ein Erwachsener ein Nein auch einfach mal hinnehmen muss, ist es für ein Kind wichtig zu verstehen, warum sein Wunsch (im Moment oder grundsätzlich) nicht erfüllt wird.
Auch für die Burger vermissende Tochter gilt: erklären, warum man es in eurer Familie eben anders handhabt als in den Familien der Freunde. Wichtig: mischköstlich lebende Familien nicht abwerten, sondern einen Grundstein für Toleranz und Vielfältigkeit legen!
Auch leckere Alternativen stimmen versöhnlich. Gibt es zu Hause die köstlichsten pflanzenbasierten Burger überhaupt und dürfen die Freunde auch mal mitessen, fühlt sich das Kind gesehen und verstanden.
Fazit
(Werdende) vegane Eltern haben es nicht immer leicht. Mit kommunikativen Krisen und zwischenmenschlichen Konflikten lässt es sich sehr viel entspannter umgehen, wenn du bewusst agierst, statt einfach nur zu reagieren. Ob jemand „deine Knöpfe drücken“ kann oder du dich auf ein sinnloses Kräftemessen mit deinem Nachwuchs einlassen willst – oder eben nicht –, kannst du selbst entscheiden. Alles, was du dazu brauchst, ist ein bisschen Mut und viel Übung. Wenn du tiefer in die Materie eintauchen möchtest, könnte unsere Fachfortbildung „Vegane Ernährung für Mutter und Kind“ (geeignet für interessierte Laien und Ernährungsfachleute) für dich interessant sein. Neben umfangreichem Nährstoffwissen sowie Rezeptideen, Tipps und Tricks für Schwangere, Stillende, Babys und Kinder beleuchtet diese Fachfortbildung auch den sozialen Druck veganer Eltern und zeigt Möglichkeiten des Konfliktmanagements auf.
In der veganen Schwangerschaft und Stillzeit können speziell darauf ausgerichtete Nahrungsergänzungsmittel die Deckung des (erhöhten) Nährstoffbedarfs erleichtern. Diese sollten in Abhängigkeit von der Gestaltung der Ernährung und unter Betrachtung der Gesundheitsparameter ausgewählt werden.
Julia meint
Unabhängig davon, ob man die vegane Ernährung beführwortet oder nicht, sind sich die Wissenschaftler, Ärzte und Ernährungsexperten einig, dass eine ausreichende Nährstoffversorgung der Schwangeren (und später auch die des Kindes) generell möglich ist. Ein fundiertes Fachwissen über den Nährstoffgehalt der Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel natürlich vorrausgesetzt. Kritiker warnen, dass Nahrungsmittel sorgfältig kombiniert werden müssen, da ansonsten das Risiko für eine mangelnde Nährstoffversorgung sehr hoch ist. Als mögliche Folgen nennen sie körperliche und sensorische Entwicklungsstörungen, sowie neurologische, irreversible Spätfolgen. Langzeitstudien dazu gibt es allerdings noch nicht. Werden hier die Risiken aufgebauscht? Einige reden von unnötiger Panikmache – wenn die Regeln veganer Ernährung befolgt werden, hat das Kind alles was es braucht. Als Mutter weiß man instinktiv, was gut für das Kind ist! Ich werde mir kein Urteil darüber bilden wer Recht hat. Wer weiß schon, welche Fakten im Netz stimmen? Liebe vegane Muttis, lasst euch durch Anfeindugen nicht entmutigen und steht zu euren Überzeugungen! Manche würden vielleicht sagen, vegane Ernährung ist das Beste für mich und den Planeten – aber gibt es nicht vielleicht doch ein Risiko für das Kind? Sollte ich wieder wenige tierische Produkte zu mir nehmen, um mit Tierleid Sicherheit für mein Kind zu erkaufen? Du kannst nicht gegen deine eigenen Glaubenssätze verstoßen! Wenn das Kind gesund heranwächst, kannst du Ihnen sagen „Ich habe Recht gehabt!“ Oder aber: „Glück gehabt“ – Jeder behauptet von sich, dass nur die eigene Wahrheit die richtige ist. Egoistisch wie wir sind, verteidigen wir unsere Meinung und verwechseln dabei „glauben“ und „wissen“! Als Laie wissenschaftliche Belege beurteilen zu können, dass nenn ich selbstbewusst! Einer verantwortungsbewussten Mutter ist es egal wer Recht hat! Wenn an dem Risiko von gesundheitlichen Spätfolgen etwas dran ist, riskiere ich doch nicht die Gesundheit meines Kindes… Für was!? Im besten Fall ist an den Behauptungen nichts dran, du hast quasi umsonst eine Zeit lang tierische Produkte gegessen – geht davon die Welt unter? Da finde ich es ehrlich gesagt schlimmer, wenn mein Kind krank wird und ich dafür die Schuld tragen muss…
Isabel Bernhauser meint
Liebe Julia,
vielen Dank für deinen Kommentar.
Letztlich ist es eine persönliche Entscheidung, wie man sich und das eigene Kind ernährt. Es ist in jedem Fall hilfreich und sinnvoll, sich zu informieren und nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden bzw. zu handeln. Eine 100 %-ige Sicherheit ist nie gegeben, auch eine mischköstliche Ernährung garantiert kein gesundes Kind. Wenn man sich allerdings Informationen und Unterstützung vom Fachmann (z. B. Ernährungsberater, Ernährungsgesellschaften, Mediziner) einholt, kann ein potenzielles Risiko einer Unterversorgung reduziert werden. Viele vegane Eltern beschäftigen sich besonders ausführlich mit ihrer Ernährung und der ihres Kindes. Selbst wenn das Kind bei veganer Ernährung erkranken sollte, muss dies nicht zwingend auf die vegane Ernährung zurückführen sein.
Eine regelmäßige Kontrolle der wichtigsten Gesundheitsparameter kann bei jeder Art der Ernährung Sicherheit geben und man kann in der Regel rechtzeitig Anpassungen vornehmen, wie auch immer die aussehen.
Ganz liebe Grüße,
Isabel!