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Cholin: Der Nährstoff, der bisher wenig Beachtung fand, bekommt in letzter Zeit vermehrt Aufmerksamkeit. Vor allem die vegane Ernährung wird als defizitär beklagt. Was ist dran an den Behauptungen? Leiden wir an einem Mangel und welche Folgen hätte das?
Cholin
Funktionen
Cholin ist ein Methylgruppenspender und damit (in Kombination mit anderen Nährstoffen) bedeutend für den Intermediästoffwechsel und u. a. für die Aktivierung und Abschaltung verschiedener Gene wichtig. Das könnte auch in der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen. Der Mikronährstoff ist im Körper bedeutsam für den Aufbau und die Funktion von Membranen und ist an der neuronalen Entwicklung, Zellsignalgebung, Reizweiterleitung und dem Lipidtransport sowie Fettstoffwechsel beteiligt.
Zwar werden geringe Mengen endogen in der Leber produziert, allerdings reicht dies wahrscheinlich nicht zur Bedarfsdeckung aus. Daher muss Cholin über die Nahrung zugeführt werden.
Zudem ist wichtig, dass Folsäure und Vitamin B12 in ausreichender Menge vorhanden sein müssen, damit Cholin im Organismus synthetisiert werden kann (Wallace und Fulgoni, 2017). Da Veganer in der Regel eine ausreichende Folsäure-Aufnahme haben, sollte diese Bedingung in der Regel bei Supplementation von Vitamin B12 gegeben sein.
Folgen eines Mangels
Wenn nicht ausreichend Cholin aufgenommen wird, kann dies gesundheitliche Auswirkungen haben. Diese umfassen u. a.:
- Leberverfettung (Nicht-alkoholische Fettleber, NAFLD)
- Leber- und Muskelschäden
- gestörte Organfunktionen
- erhöhtes Krebsrisiko
Allerdings erlauben die Studien, die einen Mangel aufzeigen, keine Aussagen darüber, ab welcher Aufnahmemenge dieser eintritt. Außerdem scheint der Bedarf und damit das Risiko für die Erkrankungen auch von weiteren Faktoren wie genetischen Polymorphismen und dem intestinalen Mikrobiom abhängig zu sein (NDA, 2016).
Zufuhrempfehlungen
Der tatsächliche Bedarf an Cholin ist bisher nicht bekannt. Daher hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) keine Referenzwerte oder Empfehlungen veröffentlicht.
Das EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA) kommt 2016 in einer Stellungnahme zu dem Schluss, dass es keine Belege für einen Zusammenhang zwischen Biomarkern der Plasmakonzentration und der nutritiven Aufnahme gibt. Daher veröffentlicht das Panel keine Referenzwerte für Empfehlungen, sondern leitet lediglich Werte für eine Adäquate Aufnahme (AI) ab. Diese beruhen auf Untersuchungen, welche die durchschnittliche Aufnahme von Gesunden in der EU ermitteln sowie auf einer Studie, in welcher bei Vorliegen von mangelbedingten Organstörungen die Mangelsymptome behoben werden konnten.
Auch das US-amerikanisch Institute of Medicine (IOM) hat 1998 AI-Werte veröffentlicht, die allerdings lediglich auf Daten aus einer Studie zur Prävention von Leberschäden beruhen sowie einer Interventionsstudie an drei Frauen, die parenteral ernährt wurden.
Die AI-Werte von EFSA und IOM kannst du Tabelle 1 entnehmen.
Tabelle 1: AI-Werte für die Cholinaufnahme von NDA (2016) und IOM (1998)
Bevölkerungsgruppe | EFSA (in mg/d) | IOM (in mg/d) |
Kleinkinder/Säuglinge
0-6 Mon. 7-11 Mon. |
160 |
125 150 |
Kinder
1-3 J. 4-6 J.bzw. 4-8 J. 7-10 J. 11-14 J. bzw. 9-13 J. |
140 170 215 340 |
200 250 – 375 |
Erwachsene
15-17 J. bzw. 14-18 J. ≥ 19 J. |
400 400 |
m: 550; w: 400 m: 550; w: 425 |
Schwangere | 480 | 450 |
Stillende | 520 | 550 |
Du siehst, die Datenlage ist ziemlich dürftig, die den AIs zugrunde liegenden Studien sind nur wenig aussagekräftig. Damit beruhen die Werte eher auf Vermutungen und Ableitungen. Somit könnte der tatsächliche Bedarf auch niedriger sein, denn eventuell ist die durchschnittliche Aufnahme unnötig hoch. Hinzu kommt, dass der Bedarf auch durch individuelle Faktoren beeinflusst wird und u. a. abhängig von Alter, Geschlecht und Genetik ist. Wie du in der Tabelle siehst, ist der Bedarf in Schwangerschaft und Stillzeit erhöht. Das liegt daran, dass in der Schwangerschaft Cholin über die Plazenta und in der Stillzeit über die Muttermilch an das Kind abgegeben wird. Um eine gesunde Entwicklung des Kindes zu ermöglichen, Neuralrohrdefekte zu vermeiden und einen Mangel bei der Mutter zu verhindern, ist eine ausreichende Versorgung daher unabdingbar. Leider ist auch hier nicht klar, welche Mengen eine „ausreichende Versorgung“ ermöglichen.
Überversorgung
Ein Upper Level für die Aufnahme wurde 1998 vom IOM festgelegt. Allerdings beruht dieses auf lediglich einer kleinen Studie an sieben Alzheimerpatienten. Die Aussagekraft ist also auch hier eher gering. Daraus leitete das Institut ein Lowest Observed Adverse Effect Level (der niedrigste Wert, bei welchem negative Wirkungen beobachtet wurden) von 7,5 g pro Tag ab. Die Folge dieser hohen Dosierung waren niedriger Blutdruck Übelkeit und Diarrhö. Mit Einbezug eines Sicherheitsfaktors legte das IOM das Upper Limit für eine sichere Zufuhr bei 3,5 g pro Tag für Erwachsene fest.
Neben den genannten Auswirkungen der Überdosierung gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Koronare Herzkrankheiten, wenn sehr hohe Mengen aufgenommen werden, die die intestinalen Aufnahmekapazitäten übersteigen. Eine unnötig hohe Aufnahme kann also ebenso wie ein Mangel negative Folgen mit sich bringen (NDA, 2016).
Vorkommen
Cholin ist hauptsächlich in Lebensmitteln tierischen Ursprungs wie Leber, Eiern, Rind, Fisch und Schwein enthalten. Damit wird es in der Tat vermutlich von Veganern in geringeren Mengen aufgenommen und sie haben ein erhöhtes Risiko für eine unzureichende Zufuhr. Doch auch pflanzliche Nahrungsmittel, z. B. Brokkoli und Bohnen, Shiitake-Pilze, Weizenkleie, Rosenkohl und Mandeln, enthalten (geringere Mengen) Cholin. Genaue Mengen sind jedoch oft nicht bekannt, vor allem außerhalb von Amerika (Wiedemann et al., 2018). Zudem kommt es in dem Emulgator Lecithin vor. Auch die Zubereitung hat Auswirkungen auf Zusammensetzung der Cholinverbindungen. Allerdings ist unklar, ob dies für die menschliche Ernährung und die Bedarfsdeckung eine Rolle spielt (Wallace und Fulgoni, 2017).
Versorgungslage
In EU-weiten Umfragen zwischen 2000 und 2011 wurde eine durchschnittliche Aufnahme zwischen 269 und 468 mg Cholin pro Tag ermittelt. Jedoch ist es schwierig, exakte Werte festzustellen. Denn zunächst sind genaue Daten zu Cholingehalten der Lebensmittel auf EU-Ebene nicht vorhanden, die herangezogenen Werte beruhen auf der Datenbank des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten (USDA) (NDA, 2016; Bragg et al., 2022). Hinzu kommt, dass die Aussagekraft von Umfragen zur Ernährung eingeschränkt ist, da sie einige Fehlerquellen beinhaltet (z. B. Erinnerungsvermögen, Mengenschätzungen, soziale Erwünschtheit).
Aktuelle Umfragen in den USA ermitteln, dass nur etwa 8 % der Erwachsenen dem AI entsprechende Mengen aufnehmen. Besonders niedrig war die Cholin-Aufnahme von Menschen, die keine Eier und tierische Proteine aßen. Die durchschnittliche Aufnahme lag bei den 19-30-Jährigen bei 257 mg/d (152-386 mg/d). Die Berechnungen beruhen allerdings auf sogenannten 24h-Recalls: Hierbei geben die Befragten wieder, was sie in den letzten 24 Stunden gegessen haben (Wallace und Fulgoni, 2017). Erstens muss dieser Tag nicht die typische Ernährung widerspiegeln, zweitens kann die Erinnerung ungenügend sein und drittens können die Mengenangaben sehr ungenau sein. Dennoch zeigt sich, dass die Aufnahme innerhalb einer relativ großen Bandbreite liegt und teilweise im Vergleich zum AI gering ausfällt.
Einer Untersuchung zufolge nahmen befragte schwangere Frauen in Deutschland weniger Cholin aufzunehmen als der AI. Dabei lag die Zufuhr bei vegetarischen Schwangere signifikant unter dem der Omnivoren (Roeren und Smollich, 2022).
Fazit
Cholin ist ein wichtiger Nährstoff, der bisher (zu) wenig Beachtung gefunden hat. Allerdings ist die Studienlage aktuell unzureichend, um einen genauen Bedarf ermitteln zu können. Leider beruhen die vorhandenen Empfehlungen auf wenigen Studien, die keine aussagekräftigen Schlussfolgerungen erlauben und sind eher Vermutungen. Demnach ist es voreilig, von einer Aufnahme unterhalb des AI auf eine gefährliche Versorgungslage mit starken negativen Folgen zu schließen.
Sicher ist, dass pflanzliche Lebensmittel im Vergleich zu solchen tierischen Ursprungs geringere Cholingehalte aufweisen. Daher kann bei einer rein pflanzlichen Ernährung schwieriger sein, seinen Bedarf zu decken. Dennoch ist mit einer vollwertigen veganen Ernährungsweise, bei der regelmäßig cholinreiche Lebensmittel aufgenommen werden, eine bedarfsdeckende Zufuhr wahrscheinlich möglich.
Unsere Empfehlung: Achte darauf, regelmäßig cholinreiche Lebensmittel zu verzehren. Diese sind gleichzeitig auch reich an vielen anderen Nährstoffen und daher allgemein ein empfehlenswerter Bestandteil der veganen Ernährung. Außerdem solltest du deine Folat- und Vitamin B12-Versorgung im Blick haben. Das gilt noch stärker in der Schwangerschaft.
Wenn du dir unsicher bist, ob du genug Cholin aufnimmst, kannst du eine (Vegane) Ernährungsberatung und/oder Arzt konsultieren. Dann kannst du in Absprache gegebenenfalls eine Supplementation in Betracht ziehen. Das kann beispielsweise in Form von Sojalecithin, welches Phosphatidylcholin enthält, oder über Citicolin geschehen. Letzteres stellt eine gut verfügbare Verbindung von Cholin und Cytidin dar.
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