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Vegane Ernährung: Was sagen Studien?
Immer wieder hört man, dass eine vegane Ernährung gut für Umwelt, Mensch und Tier sei. Skeptiker hingegen warnen vor der vermeintlichen Mangelernährung. Beide Seiten berufen sich oft auf Studien, die zeigen (sollen), dass die vegane Ernährung je nach Standpunkt Vor- oder Nachteile bringt.
Was stimmt nun? Wie bewerten wissenschaftliche Studien die vegane Ernährung?
Die wichtigsten veganen Studien
Wir haben dir einige der relevantesten Studien zur veganen Ernährung zusammengetragen. Im Anschluss an unsere Liste findest du noch eine genauere Beschreibung dieser sowie weiterer Studien und Hinweise, was du beim Lesen von Studien beachten solltest.
- Die EPIC-Oxford (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) Studie: Im Rahmen dieser großangelegten Kohortenstudie werden seit 1993 Personen in Großbritannien untersucht, die einer veganen, vegetarischen oder omnivoren Ernährung folgen. Ziel ist es, den Zusammenhang zwischen Ernährung und langfristiger Gesundheit zu untersuchen.
- Die Adventist Health Studie I und die Adventist Health Study II: Hier werden seit 1958 die Siebent-Tags-Adventisten in den USA und Kanada untersucht. Der Großteil von ihnen ernährt sich vegetarisch. Ziel ist es herauszufinden, wie Ernährung und Lebensstil das Risiko zur Entwicklung diverser chronischer Erkrankungen beeinflussen.
- Die VeChi- und die VeChi-Youth Studien: Bei diesen Studien unter der Leitung von Markus Keller steht die Frage im Vordergrund, wie sich die Ernährung und der Gesundheitsstatus von veganen, vegetarisch und mischköstlich ernährten Kindern und Jugendlichen in Deutschland unterscheidet.
- Im Jahr 2020 erschien die Studie „Versorgungsstatus mit Vitaminen und Mineralstoffen bei veganer Ernährungsweise“. Diese ist Teil des Studienprojekts „Risiken und Vorteile der veganen Ernährung“ (RBVD) des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).
- Im Rahmen der Arbeit „The Impact of Plant-Based Dietary Patterns on Cancer-Related Outcomes: A Rapid Review and Meta-Analysis“ zum Zusammenhang von pflanzenbasierten Ernährungsweisen und Krebs wurde von spanischen Forschern die aktuelle Literatur untersucht.
- Im Rahmen der von Wissenschaftlern entwickelten idealen Planetary Health Diet, wird deutlich, dass eine pflanzenbasierte Ernährung deutliche Vorteile für die Gesundheit der Erde und Menschheit im Sinne der Nachhaltigkeit mit sich bringt.
Die Interpretation von Studien zu veganer Ernährung
Mit steigender Popularität wächst auch das Interesse an Studien zu veganer Ernährung. Dennoch ist die Zahl der Veganer vergleichsweise gering. Infolgedessen ist die Rekrutierung für Studien zu veganer Ernährung schwierig, die Probandenanzahl meist klein und ausgewählt. Das erschwert es, aussagekräftige Rückschlüsse zu ziehen.
Zudem hat sich die vegane Ernährung in den letzten Jahren stark gewandelt. Denn sowohl die Lebensmittelauswahl als auch das Wissen über potenziell kritische Nährstoffe ist stark gewachsen. Daher kann man aus den Ergebnissen älterer Studien nur bedingt auf die heutige vegane Ernährung schließen.
Bekannt sind vor allem zwei groß-angelegte Studien: Die Adventist Health Studies I und II sowie die EPIC Oxford Studie. Auch sie müssen jedoch entsprechend ihrer Aussagekraft bewertet werden:
Die Adventisten sind insgesamt eine sehr gesundheitsbewusste Population. Einerseits führt dies dazu, dass Unterschiede zwischen Mischköstlern und Veganern eventuell im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung noch gravierender wären, andererseits zeigen auch die sich vegan ernährenden Adventisten wahrscheinlich einen insgesamt gesundheitsförderlichen Lebensstil. Dies limitiert die Übertragbarkeit auf die Gesamtbevölkerung. Die Ergebnisse zeigten, dass die untersuchten Vegetarier einen insgesamt gesünderen Lebensstil haben und ein geringeres Erkrankungsrisiko aufweisen als die Nicht-Vegetarier.
Die EPIC Oxford-Studie wurde in Großbritannien durchgeführt. Genau wie bei der Adventist Health Study handelt es sich hierbei um eine epidemiologische Studie, also eine Beobachtungsstudie. Daraus können keine Kausalitäten, lediglich Korrelation abgeleitet werden. Wenn die Veganer hier also beispielsweise weniger häufig an einer bestimmten Erkrankung litten, so ist das zunächst eine Beobachtung und heißt nicht zwangsläufig, dass dies in der veganen Ernährung oder einem bestimmten einzelnen Aspekt der veganen Ernährung begründet ist. Sie sind also zur Hypothesengenerierung für Folgestudien geeignet.
Das gilt für alle Beobachtungsstudien. Etwas eher auf kausale Zusammenhänge können sogenannte Randomisierte Kontrollstudien hinweisen. Dabei findet eine Intervention statt, Personen ernähren sich also beispielsweise für eine Zeit vegan und die Veränderung bestimmter Parameter wird mit einer mischköstlich ernährten Kontrollgruppe verglichen.
Du siehst, Studien zu veganer Ernährung müssen immer im Kontext gesehen und entsprechend interpretiert werden. Einen Überblick über relevante Studien zu veganer Ernährung findest du im Folgenden. Wir haben sie dir im Text verlinkt und du findest sie auch unten in den Literatur-Angaben. So hast du einen praktischen Überblick über wichtige Studien rund um die vegane Ernährung.
Die Entscheidung zur veganen Ernährung
Studien zeigen: Menschen entscheiden sich aus unterschiedlichen Gründen für die vegane Ernährung. In einer aktuellen forsa-Umfrage der PHW-Gruppe gibt die Mehrheit der befragten Vegetarier und Veganer an, aufgrund von Nachhaltigkeit und Umweltschutz auf Fleisch zu verzichten. Knapp die Hälfte nennt gesundheitliche Aspekte. Weitere Gründe waren die Motivation durch Dritte, Geschmack und wenig Lust auf Fleisch. 2 % tun es aus Gewohnheit und für 1 % ist der Preis ein Grund für die fleischfreie Ernährung (PHW, 2021).
Bei den Kindern und Jugendlichen, die im Rahmen der VeChi-Youth-Studie (Studie zur veganen Ernährung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) befragt wurden, stehen ökologische Gründe für die vegane Ernährung eher im Hintergrund. Ethik und Tierschutz sind hier für die Mehrheit der Beweggrund, 13 % nennen die Eltern und 11 % gesundheitliche Gründe (Alexy et al., 2020).
Dass Ethik und Tierschutz für eine vegane Ernährung sprechen, ist offensichtlich. Doch was sagen Studien zu gesundheitlichen und ökologischen Aspekten der veganen Ernährung? Wie steht es um die Nährstoffversorgung, sind die Bedenken vieler Vegan-Kritiker, die sich insbesondere um Schwangere, Kinder und Sportler Sorgen machen, begründet?
Gesundheitliche Aspekte
Studien, welche gesundheitliche Auswirkungen der veganen Ernährung untersuchen, zeigen, dass Veganer häufig leichter und weniger oft von Übergewicht betroffen sind. Mögliche Gründe dafür sind die durchschnittlich geringere Kaloriendichte und höhere Ballaststoffgehalte pflanzlicher Lebensmittel. Aber auch der insgesamt gesundheitsbewusstere Lebensstil, unabhängig von der veganen Ernährung (z. B. mehr Bewegung), kann zu den Ergebnissen beitragen.
Die geringere Prävalenz von Übergewicht kann sich zudem positiv auf das Risiko für diverse Erkrankungen, wie Diabetes Mellitus Typ 2, Koronare Herzerkrankungen, Dyslipidämien, Bluthochdruck etc. auswirken. Daher empfehlen offizielle Institutionen wie die europäische und amerikanische Gesellschaft für Kardiologie zur Prävention und Therapie von Fettstoffwechselstörungen und Koronaren Herzerkrankungen eine Ernährung, die reich an Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen und Vollkorngetreide ist (Mach et al., 2019; Arnett et al., 2019).
Eine hohe Gemüse-, Obst- und Ballaststoffaufnahme kann zudem laut World Cancer Research Fund das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen reduzieren (Wild et al., 2021). Sowohl in der Adventist Health Study-2 als auch in der EPIC-Oxford-Study war die vegane Ernährung im Vergleich zur Mischkost mit einem geringeren Krebs-Risiko verbunden (Segovia-Siapco et al., 2018). Für konkrete Aussagen zu bestimmten Krebserkrankungen und veganer Ernährung sind aktuell aber laut einem aktuellen Review nicht ausreichend aussagekräftige Studien vorhanden (Molina-Montes et al., 2020).
Bei Rheumatoider Arthritis zeigt ein Review von Alwarith und Kollegen, dass sich bei pflanzlicher Ernährung Besserungen der Beschwerden einstellen (Alwarith et al., 2019). Die Autoren führen dies auf die Elimination vieler Lebensmittel zurück, die Symptome auslösen können. In einer randomisierten Kontrollstudie wurden bei veganer Ernährung auch geringere Konzentrationen an Leukozyten, Neutrophilen, Monozyten und Blutblättchen gemessen, was eine positive Wirkung erklären könnte (Lederer et al., 2020).
Die Auswirkungen auf das Osteoporose-Risiko sind unklar, Studien zeigen hier bei veganer Ernährung uneinheitliche Ergebnisse. In den sieben in einer Meta-Analyse untersuchten Studien mit 2749 omnivoren, vegetarischen und veganen Probanden nahmen die Veganer oft weniger Calcium als Mischköstler auf und teilweise wurde eine höhere Osteoporose-Prävalenz beobachtet. Oft zeigen sich aber keine relevanten negativen Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Knochendichte (Ho-Pham et al., 2009). Aktuell weist die Studienlage darauf hin, dass über die vegane Ernährung alle Nährstoffe, die für die Knochengesundheit am relevantesten sind (z. B. Calcium, Vitamin D, Protein, Magnesium) in ausreichender Menge aufgenommen werden können, wenn durchdacht gestaltet (Mangels, 2014). Dass Untergewicht ein Risikofaktor für eine geringe Knochendichte ist, könnte ein Grund sein, dass vor allem in älteren Studien Veganer eine geringere Knochendichte zeigen. Daher ist es wichtig, dass man bei veganer Ernährung besonders auf die für die Knochengesundheit relevanten Nährstoffe achtet und insgesamt ausreichend Energie aufnimmt. Darauf weist auch die kleine Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung hin, zu welcher wir eine Stellungnahme veröffentlicht haben. In dieser erfährst du neben Tipps für gesunde Knochen Genaueres zum Studiendesign (Menzel et al., 2021).
Insgesamt sind die in Pflanzen reichlich vorhandenen Ballaststoffe, sekundären Pflanzenstoffe, Vitamine und Mineralstoffe sowie die durchschnittlich geringe Energiedichte mit positiven Gesundheitswirkungen vorhanden. Eine vegane Ernährung ist meist reich an diesen Inhaltsstoffen und kann, wenn entsprechend gestaltet, alle essenziellen Nährstoffe liefern. Das zeigen die im Folgenden vorgestellten Studien.
Nährstoffaufnahme bei veganer Ernährung
Unter Betrachtung der vorhandenen Studien kommen Ernährungsgesellschaften zu vordergründig etwas unterschiedlichen Einschätzungen, inwiefern eine vegane Ernährung den Nährstoffbedarf decken kann: Sowohl die italienische als auch die amerikanische Ernährungsgesellschaft stellen in ihren Positionspapieren fest, dass eine gut geplante vegane Ernährung den Nährstoffbedarf aller Personengruppen decken und somit gesundheitlich vorteilhaft sein kann (Agnoli et al., 2017; Melina et al., 2016). Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sieht die Studienlage in ihrem ergänzenden Positionspapier zu veganer Ernährung noch nicht als ausreichend an, um die vegane Ernährung auch in Schwangerschaft und Stillzeit sowie für Kinder und Jugendliche zu empfehlen (Richter et al., 2020). Darüber hinaus betonen sie in ihrem ursprünglichen Positionspapier aus dem Jahr 2016 für alle Bevölkerungsgruppen, dass eine gezielte Lebensmittelauswahl sowie vor allem die Supplementation mit Vitamin B12 unabdinglich ist (Richter et al., 2016).
Dessen sind sich mittlerweile die meisten Veganer bewusst. Das zeigt u. a. eine aktuelle deutsche Studie, in welcher die meisten der untersuchten Veganer ein Vitamin-B12-Supplement einnahmen. Die Untersuchung weist auf eine teilweise mangelhafte Versorgung der veganen Teilnehmer mit Jod, Eisen und Calcium hin. Mit allen anderen untersuchten Nährstoffen (darunter auch Vitamin B12 und Vitamin D) waren die Veganer im Mittel gut versorgt und ihre guten Blutfettwerte fielen auf (Weikert et al., 2020).
Dass eine vegane Ernährung für Kinder und Jugendliche funktionieren kann, zeigen Forscher, welche ein „Meal-Planning-System“ für diese Altersgruppen entwickelt haben. Eltern, die sich daran orientieren, können sicherstellen, dass ihre Kinder alle Nährstoffe den Empfehlungen entsprechend aufnehmen (Menal-Puey et al., 2019). Auch Sportler können alle für sie wichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge aufnehmen, um Muskeln aufzubauen bzw. im Alter einen Abbau zu verhindern. Darauf, dass pflanzliches Protein dem aus tierischen Quellen diesbezüglich wahrscheinlich in nichts nachsteht, sofern Sportler mindestens 1,6 g pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen, zeigt ein aktuelles Review im renommierten Journal „nutrients“ und unter anderem eine neue randomisierte Kontrollstudie mit 19 Veganern (Lim et al., 2021; Hevia-Larraín et al., 2021).
Alexandra Foscolou und Kollegen kommen in ihrer Übersichtsarbeit von Beobachtungsstudien zu dem Schluss, dass eine pflanzenbasierte proteinreiche Ernährung für Personen über 50 Jahren empfehlenswert ist für einen gesunden Alterungsprozess (Alexandra Foscolou et al., 2019). Andere Wissenschaftler merken an, dass eine ausreichende Aufnahme von Protein und vor allem der wichtigen essenziellen Aminosäure Leucin bei einer veganen Ernährung möglicherweise problematisch werden kann. Wer darauf ein Augenmerk legt, kann im Alter von einer veganen Ernährung profitieren (Lonnie et al., 2018).
Die Studien zeigen also, dass mit einer durchdachten veganen Ernährung mit dem Fokus auf die potenziell kritischen Nährstoffe, gegebenenfalls durch Supplementation, Personen aller Bevölkerungsgruppen wahrscheinlich bedarfsgerecht versorgt sein können.
Studien zu ökologischen Aspekten
Die Herstellung von Produkten tierischen Ursprungs ist sehr ressourcenaufwendig. Faktoren, die dazu beitragen sind, z. B.:
- Tierfutteranbau, -produktion, transport, -lagerung, -fütterung
- Tierhaltung, -pflege
- Tiertransporte
- Schlachtung
- Produktverarbeitung, -transport, -verpackung, -entsorgung.
Diese Prozessschritte sind u. a. verantwortlich für Treibhausgasausstoß, Wasserverschmutzung, Eutrophierung und Waldrodungen. Anstelle von Tierfutter könnten oft Nahrungsmittel für die menschliche Ernährung angebaut werden. Da bei der Produktion pflanzlicher Lebensmittel die meisten dieser Schritte entfallen, ist sie im Durchschnitt nachhaltiger als eine mischköstliche (Fresán und Sabaté, 2019).
Viele Studien zeigen, dass eine vegane Ernährung mit wesentlich geringeren Treibhausgasemissionen, Landnutzung und teilweise auch Wasserverbrauch verbunden ist. Dies spiegelt sich in aktuellen Reviews wider. Eine vegane Ernährung verursacht demnach nur die Hälfte der Treibhausgasmessionen einer durchschnittlichen mischköstlichen Ernährung (Fresán und Sabaté, 2019: Chai et al., 2019; Springmann et al., 2016).
Allerdings ist es schwierig, die Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Umwelt zu berechnen. Denn genau wie bei der Nährstoffversorgung gilt: Es gibt nicht die eine vegane Ernährung. Je nachdem, wie diese gestaltet ist, unterscheiden sich die Folgen für die Umwelt. Eine möglichst saisonale und regionale Ernährung mit überwiegend unverarbeiteten Lebensmitteln hat die Nase vorn. Sehr ressourcenaufwendige, von weither importierte und hochverarbeitete pflanzliche Lebensmittel sind natürlich aus ökologischer Sicht keine gute Wahl und können teilweise schädlicher sein als manche tierischen Ursprungs. Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass auch eine pflanzenbetonte mischköstliche Ernährung, die auf saisonale und regionale Lebensmittel fokussiert ist und nur wenige Produkte tierischen Ursprungs enthält, ähnlich ökologisch vorteilhaft sein kann wie eine rein vegane (Chai et al., 2019).
Eine Schwierigkeit bei den Überlegungen zu ökologischen Auswirkungen einer rein veganen Ernährung: Die Modellberechnungen beruhen auf unterschiedlichen Annahmen bezüglich der Umweltauswirkungen und Ressourcenaufwendungen. Je nach Methodik unterscheiden sich daher die Ergebnisse. Klar ist jedoch auch: Ein Umdenken weg vom Massenkonsum der Produkte tierischen Ursprungs hin zu einer pflanzenbetonten Ernährung ist notwendig, um dem Klimawandel mit allen seinen fatalen Folgen begegnen zu können. Die von der EAT-Lancet-Commission entwickelte Planetary Health Diet sieht vor, dass in Europa um 70 bis 80 % weniger Fleisch verzehrt werden müsste, um Gesundheit von Mensch und Planeten in Zukunft zu gewährleisten. Die Empfehlungen im Detail kann man im zugehörigen Summary Report nachlesen.
Studien lesen und interpretieren
Wissenschaft vs. Pseudowissenschaft
Zu veganer Ernährung kursieren viele Behauptungen. „Gurus“ predigen die eindeutige Überlegenheit dieser Ernährungsform und legen überzeugend die vermeintlichen gravierenden gesundheitlichen Gefahren einer Mischkost dar. Doch schaut man sich die Aussagen genauer an, stellt man fest, dass die Studienlage oft etwas anderes sagt. Auf der einen Seite locken die überzeugenden drastischen Aussagen gutgläubige Personen an, die sich infolgedessen einer rein pflanzlichen Ernährung öffnen. Dadurch verbreiten sich aber auch Falschinformationen. Das Problem daran: Die absoluten und unwissenschaftlichen Aussagen, die Lebensmitteln tierischen Ursprungs dramatische Nachteile zusprechen, schrecken viele Mischköstler ab und lassen Veganer unsympathisch wirken.
Umso wichtiger ist es, dass es Veganer gibt, die fundiert argumentieren können, dass eine vegane Ernährung gut für Umwelt und Gesundheit sein kann. Doch wie erkennst du, dass Studien zu veganer Ernährung nicht wissenschaftlich fundiert interpretiert werden? Warnsignale, die auf unwissenschaftliches Arbeiten bzw. Pseudowissenschaft hindeuten, umfassen u. a.:
- fehlende Beschreibung des Vorgehens
- keine Erläuterung der Ergebnisse
- keine Quellenangaben bzw. fundierte Belege für Aussagen
- absolute Aussagen
- einseitige Betrachtungsweise
- persönliche Erfahrungsberichte werden als Beweis eingestuft
Als überzeugter Veganer tendiert man vielleicht gern dazu, sich auf Studien zu berufen, die (scheinbar) die Überlegenheit dieser Form der Ernährung zeigen und ignoriert andere, welche Lebensmitteln tierischen Ursprungs oder einer mischköstlichen Ernährung positive Aspekte zuordnen. Das nennt man dann „confirmation bias“ oder auch „Cherry picking“. Wer unwissenschaftlich arbeitet, sucht gezielt nach Studien, welche seine Überzeugung unterstützen und ignoriert solche, die ihr widersprechen. Richtige Wissenschaftler hingegen betrachten die Gesamtheit der relevanten Studien und leiten davon ausgehend Standpunkte ab, sind offen für Kritik und neue Erkenntnisse (Lee und Hunsley, 2015).
Ist man nicht mit dem Thema vertraut und/oder mit wissenschaftlichem Arbeiten, ist es kaum möglich, wissenschaftliche Studien zu verstehen und zu interpretieren und man ist anfällig für Pseudowissenschaft. Insbesondere aus diesem Grund sollte man sich nicht auf einschlägige Artikel oder Videos verlassen, die über Ergebnisse einer Studie berichten. Die Verfasser davon haben oft selbst nur den Abstract gelesen und die Studie nicht verstanden oder sind auf der Suche nach einer guten Headline. Infolgedessen ist das Fazit oft weit entfernt von dem, was die Studien wirklich aussagen.
Was du bei der Interpretation beachten kannst:
- Probandenzahl
- Population (Gesundheitszustand, Alter, Geschlecht,…)
- Methodik (aussagekräftige Parameter, Messmethode…)
- statistische Methoden
- Relevanz und Bedeutung für die Praxis.
Unter dem Punkt „Diskussion“ gehen die Autoren auf Schwächen und Stärken ihrer Studie ein, was einem bei der Interpretation helfen kann. Dennoch sollte man sich nicht allein darauf verlassen. In diesem Teil wird zudem in der Regel Bezug genommen auf ähnliche Studien, welche du dir genauer ansehen kannst und die dir einen weiteren Einblick liefern können.
Wichtig: Studien liest man nicht einfach so und ohne entsprechendes Studium ist es schwierig, sie richtig zu interpretieren. Selbst Wissenschaftler benötigen viel Zeit für eine eingehende Beschäftigung mit diesen. Es gibt Bücher und Leitfäden, welche Interessierten das Lesen von Studien näherbringen. Wenn du mit Studien argumentieren möchtest, sind diese sehr empfehlenswert. Das Auseinandernehmen von Studien kann richtig Spaß machen und zu Aha-Momenten führen!
In Tabelle 1 siehst du Hinweise, wie du Pseudowissenschaft von Wissenschaft unterscheiden kannst (nach Lee und Hunsley, 2015).
Tabelle 1: Unterschiede zwischen Pseudowissenschaft und Wissenschaft
Pseudowissenschaft | Wissenschaft |
keine „Peer Review“ (Überprüfung durch andere Wissenschaftler) | Peer Review |
versucht, vorhandene Meinungen zu bestätigen | hinterfragt bestehende Annahmen |
fordert bei Hinterfragen von Aussagen Beleg dafür, dass sie falsch sind | belegt Aussagen, absolute Aussagen sind selten |
stellt Ad-hoch-Hypothesen auf, wenn Aussagen angegriffen werden | kann Aussagen mit breitem Wissensstand belegen |
widerspricht Grundlagenwissen, verkompliziert | Grundlagenwissen als Voraussetzung, davon abgeleitete einfach verständliche Erklärung |
beruft sich auf persönliche Erfahrungen | beruft sich auf kontrollierte Untersuchungen |
Unterschiedliche Studientypen
Von Studien rund um Ernährung auf Gesundheitswirkungen einzelner Stoffe oder Lebensmittel zu schließen, ist schwierig. Selbst wenn die Ernährung genau kontrolliert werden könnte (in der Realität weicht die selbstberichtete Lebensmittelaufnahme oft von der tatsächlichen ab), bleibt: Dein Körper ist ein komplexes System und sowohl körperliche Funktionen als auch Inhaltsstoffe stehen in welchselseitiger Beziehung. Hinzu kommen weitere Einflussfaktoren wie Gesundheitszustand, Alter, Gewicht und Geschlecht. Wissenschaftler können diese zwar mithilfe statistischer Methoden „herausrechnen“, dennoch hat auch das Limitationen.
Es gibt verschiedene Arten von wissenschaftlichen Untersuchungen. Sie alle haben ihre Berechtigung, haben aber unterschiedliche Aussagekraft und erlauben oft nur beschränkte Rückschlüsse. Oben hast du bereits die Begriffe „epidemiologische Studien“ sowie „Beobachtungsstudien“ kennengelernt und erfahren, dass diese keine Kausalitäten aufzeigen können.
In Abbildung 1 siehst du die sogenannten Nachweisstufen für die Bewertung der Qualität einer Evidenz (EUPATI).
In Tabelle 2 sind die Eigenschaften dieser Studien sowie Stärken und Schwächen aufgeführt (nach examine.com, 2021).
Studienarten | Design | Stärken | Schwächen | |
Studienzusammenfassungen | Meta-Analyse | fasst Daten der gesamten vorhandenen Literatur zu einem bestimmten Thema zusammen und analysiert sie statistisch | Kann einer Fragestellung eine größere statistische Power bieten | zeitaufwendig und umfassendes Wissen über Statistik notwendig |
Systematisches Review | Experten-Überblick über die vorhandenen Belege zu einem bestimmten Thema | Kann in einem limitierten Forschungsgebiet Orientierung geben | Design-Unterschiede können einen Studienvergleich schwierig machen | |
Experimentelle Studien | Randomisierte kontrollierte Studie (RCT) | Probanden werden zufällig einer Interventions- oder Kontrollgruppe zugeordnet | Randomisierung kann helfen, den Populations-Bias (Stichprobenverzerrung, gezielte Zusammenstellung der Testgruppe) zu eliminieren | kann sehr teuer und ressourcenaufwendig sein |
nicht-randomisierte Studie | Teilnehmer werden einer Interventions- oder Kontrollgruppe zugeordnet | die Teilnehmer können verblindet einer Gruppe zugeordnet werden | nicht randomisiert | |
Observationsstudien (Beobachtungsstudien) | Kohortenstudien | Eine Gruppe wird eine bestimmte Zeit verfolgt und ihre Gewohnheiten sowie Risikofaktoren aufgezeichnet | kann leichter durchzuführen sein als ein RCT | Durchführung kann Jahre dauern |
Fall-Kontroll-Studie | Vergleich der Vergangenheit mit und ohne eine bestimmte Erkrankung oder Gesundheitsaspekt | hilft, potenzielle Risikofaktoren zu identifizieren | oft beeinflusst durch Erinnerungsverzerrung | |
Fallbericht | ausführlicher Bericht von Einzelfällen | hilft, neue Forschungsrichtungen zu identifizieren | kann nicht verallgemeinert werden |
Tabelle 2: Überblick über Eigenschaften, Stärken und Schwächen unterschiedlicher Studienarten (nach examine.com, 2021).
Auch bei Meta-Analysen und Systematischen Reviews reicht es nicht, den Abstract und/oder das Ergebnis zu lesen. Denn es ist wichtig, genauer zu untersuchen, welche Studien aus welchem Grund inkludiert und ausgeschlossen und wie sie analysiert und interpretiert wurden.
Vor allem zum Thema Ernährung können in der Regel keine absoluten Aussagen getroffen werden. Die Untersuchung unterliegt zahlreichen Schwierigkeiten, da die Ernährung und Wirkung auf Gesundheit von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. In einem Review gehen Wissenschaftler auf einige Aspekte ein, die bei der sogenannten „evidence-based practice“ in ernährungsbezogenen Studien beachtet werden müssen. Dazu zählt u. a.
- die Methode der Ernährungserhebung
- die Art, wie die Intervention kontrolliert wird
- welche Parameter herangezogen werden
- welche Studienform gewählt und wie diese interpretiert wird
(Laville et al., 2017).
Du siehst, sich auf Studien zu veganer Ernährung zu berufen, allein reicht nicht, um zu sagen, dass diese Form der Ernährung „eindeutig wissenschaftlich belegt besser ist“. Die Studien, auf die du dich berufst, müssen fundiert durchgeführt, im Zusammenhang und richtig interpretiert werden. Unsere Zusammenstellung kann dir einen ersten Einblick geben.
Unsere 10 Richtlinien zur Überprüfung von Aussagen im wissenschaftlichen Kontext
Du merkst wahrscheinlich spätestens jetzt, dass das Lesen und Interpretieren wissenschaftlicher Studien eine komplexe Herausforderung darstellt. Noch anspruchsvoller ist es, diese Studien in einen größeren Zusammenhang zu stellen. In großen Ernährungsgesellschaften gibt es dafür große Teams von Fachwissenschaftlern, die sich auf die jeweiligen Themenbereiche spezialisiert haben.
Einige Behauptungen, auf die du in Bezug auf Ernährung stößt, klingen zunächst vernünftig und überzeugend, entbehren jedoch einer praktischen Bestätigung. Selbst wenn mehrere Studien verwandte Themen abdecken, ist ihre Zusammenführung meist nicht möglich – die Gründe liegen in den unterschiedlichen Zielgruppen oder den variierenden methodischen Ansätzen und Analysen.
Um dir Orientierung im Umgang mit „Expertenmeinungen“ zu geben, die Zweifel und Verwirrung bei dir auslösen, haben wir zehn Richtlinien erarbeitet.
- Interessen des Senders beobachten: Wer ist der Urheber dieser Behauptung, und welche Motive, wie etwa finanzielle Interessen oder Machtbestrebungen, könnten dahinterstecken? Überlege, ob durch diese Aussage Ängste geschürt werden und inwieweit die Bewerbung von Produkten, beispielsweise Nahrungsergänzungsmitteln, eine Rolle spielt. Prüfe, ob eine Zusammenarbeit mit Firmen besteht, die von den getätigten Äußerungen profitieren könnten. Informiere dich darüber, ob die Person wirklich über eine wissenschaftliche Ausbildung in dem betreffenden Feld verfügt. Beurteile, ob ihr Ansatz andere herabwürdigt, wie sie mit möglicher Kritik umgeht und ob ihre Argumentation sachlich und fundiert ist.
- Tatsächliche Studienaussagen kontrollieren: Recherchiere eigenständig nach den zitierten Studien und überprüfe, ob deren Ergebnisse mit den Aussagen des Experten übereinstimmen. Achte besonders darauf, ob die Ergebnisse sowohl signifikant als auch im praktischen Alltag relevant sind. Untersuche, ob möglicherweise Ergebnisse weggelassen wurden, die den klaren Aussagen des Experten widersprechen könnten. Schau dir zudem den Diskussionsteil der Studie an: Welche Stärken und Schwächen werden dort genannt und wie werden die Ergebnisse im wissenschaftlichen Gesamtkontext eingeordnet?
- Studiendesign kontrollieren: Basiert das, was gesagt wurde, auf Einzelfallstudien, mechanistischen Untersuchungen oder Tierversuchen? Wurde es nur mit einer kleinen Gruppe von Teilnehmenden oder solchen mit besonderen Merkmalen getestet? Dann ist es wichtig zu bedenken, dass daraus keine allgemeingültigen Schlüsse gezogen werden können.
- Ergebnisse von Studien analysieren: Die Ergebnisse aus unterschiedlichen Publikationen lassen sich oft nicht direkt miteinander kombinieren. Es ist wichtig, genau zu prüfen: Sind die gezogenen Schlussfolgerungen wirklich stichhaltig?
- Vergleich mit anerkannten Ernährungsfachgesellschaften oder anderen renommierten Wissenschaftlern in dem Bereich. Welche Aussagen, Empfehlungen und Standpunkte vertreten sie?
- Tatsache vs. Hypothese: Hast du Beweise für wirklich bedeutende Effekte oder Vorteile, zum Beispiel in Bezug auf die Gesundheit, gefunden? Oder beruhen diese Aussagen lediglich auf Mutmaßungen, die aus einzelnen Parametern hergeleitet wurden?
- Unübersichtliche Literaturangaben: Wenn zahlreiche Studien zitiert werden, die kaum umfassend geprüft und damit entkräftet oder diskutiert werden können, könnte dies eine kritische Auseinandersetzung von Anfang an erschweren oder gar blockieren.
- Komplexe Erklärungen und Rechtfertigungen: Achte darauf, dich nicht von umfangreichen und rhetorisch geschickten Erklärungen sowie Rechtfertigungen für eventuelle Kritik täuschen zu lassen!
- Absolute Aussagen: Aussagen, die keinen Spielraum für Relativität bieten, lassen Zweifel an ihrer wissenschaftlichen Validität aufkommen, vor allem im Feld der Ernährungswissenschaften.
- Persönliche Erfahrungen: Aussagen, die persönliche oder subjektive Erfahrungen als Belege nutzen, stehen nicht im Einklang mit den Grundsätzen wissenschaftlicher Kompetenz.
Fazit
Die Frage, ob die vegane Ernährung gesund oder ungesund oder besser für die Umwelt als Mischkost ist, lässt sich also nicht einfach durch Studien mit ja oder nein beantworten. Was Studien zu veganer Ernährung aber zeigen, ist, dass man das Thema differenziert betrachten muss: Die Auswirkungen hängen zu einem großen Teil davon ab, wie die Ernährungsweise umgesetzt wird. Gut belegt ist aber, dass sich ein großer Anteil von pflanzlichen Lebensmitteln in der Ernährung mit positiven Aspekten für Gesundheit und Umwelt verbunden ist.
Lass dich bei der Interpretation von Studien in Zusammenhang mit veganer Ernährung nicht beeindrucken, verunsichern oder zu teuren Supplementkäufen verleiten durch Aussagen, die nicht-wissenschaftlichem Arbeiten entstammen. Unsere 10 Richtlinien können dir Sicherheit bieten.
Blandine Schillinger meint
Vielen Dank für diesen sachlichen Artikel.
Isabel Bernhauser meint
Sehr gern, liebe Blandine. 🙂
Herzliche Grüße,
Isabel!